Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Täuscher

Der Täuscher

Titel: Der Täuscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
Vom Netzwerk:
zugeht.«
    Henry Rhyme, Arts Vater, hatte als namhafter Physikprofessor an der Universität von Chicago gelehrt; dieser Zweig der Familie Rhyme fühlte sich in der akademischen Welt zu Hause. Arthur und Lincoln hatten als Halbwüchsige oft darüber diskutiert, ob die Arbeit in Forschung und Lehre einer Anstellung in der freien Wirtschaft vorzuziehen sei. »An der Uni kann man einen bedeutenden Beitrag für die Gesellschaft leisten«, hatte Arthur gesagt, während die Jungen jeder ein eigentlich illegales Bier tranken, und danach keine Miene verzogen, als Lincoln pflichtgemäß hinzufügte: »Außerdem können die weiblichen wissenschaftlichen Hilfskräfte ziemlich heiß sein.«
    Es überraschte Rhyme nicht, dass Art sich letztlich für die Universität entschieden hatte.
    »Er hätte weiter Assistent bleiben können, aber das wollte er nicht. Er war sehr wütend. Und er ging davon aus, dass er sofort eine neue Stelle finden würde, aber das ist ihm nicht gelungen. Er war eine Weile arbeitslos und landete schließlich bei einer Firma. Einem Hersteller von medizinischen Geräten.« Wieder ein automatischer Blick -
    diesmal auf den hoch entwickelten Rollstuhl. Sie wurde rot, als hätte sie sich einen groben Fauxpas geleistet.
    13
    »Es war nicht sein Traumjob, und er ist damit nicht allzu glücklich. Ich bin sicher, er wollte dich besuchen kommen, aber wahrscheinlich hat er sich dafür geschämt, dass es ihm nicht so gut ergangen ist. Ich meine, wo du doch eine solche Berühmtheit bist und so.«
    Sie trank endlich einen Schluck Kaffee. »Ihr beide hattet so viel gemeinsam. Ihr wart wie Brüder. Ich weiß noch, wie ihr uns in Boston all die Geschichten erzählt habt. Wir waren die halbe Nacht auf und haben gelacht. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Und mein Schwiegervater Henry hat zeit seines Lebens ständig von dir geredet.«
    »Wirklich? Wir haben uns oft geschrieben. Noch ein paar Tage vor seinem Tod habe ich einen Brief von ihm bekommen.«

    Rhyme verband mit seinem Onkel Dutzende von unauslöschlichen Erinnerungen, aber ein Moment hatte sich ihm besonders nachhaltig eingeprägt: Der hochgewachsene Mann mit dem schütteren Haar und dem roten Gesicht lehnt sich zurück und bricht in schallendes Gelächter aus. Alle zwölf oder fünfzehn Familienmitglieder an der weihnachtlichen Festtafel sind peinlich berührt - alle außer Henry Rhyme selbst, seiner nachsichtigen Frau und dem jungen Lincoln, der ebenfalls lauthals lacht. Rhyme hatte seinen Onkel sehr gemocht und war oft bei Art und seinen Eltern zu Besuch gewesen.
    Die Familie hatte etwa fünfzig Kilometer entfernt gewohnt, am Ufer des Lake Michigan in Evanston, Illinois.
    Im Augenblick war Rhyme allerdings nicht nach Nostalgie zumute. Erleichtert hörte er, wie die Haustür sich öffnete und jemand von der Schwelle auf den Teppich trat.
    Rhyme erkannte an dem festen Schritt, um wen es sich handelte. Gleich darauf betrat eine große, schlanke rothaarige Frau das Labor. Sie trug Jeans, ein schwarzes T-Shirt und darüber eine weinrote Bluse. Die Bluse war nicht zugeknöpft, und man konnte sehen, dass hoch an der Hüfte der Frau eine schwarze Automatikpistole der Marke Glock im Holster steckte.
    Als Amelia Sachs lächelte und Rhyme auf den Mund küsste, registrierte der Kriminalist aus dem Augenwinkel Judys Reaktion. Ihre Körpersprache war unmissverständlich, und Rhyme fragte
    14
    sich, weshalb sie wohl so bestürzt schien: weil sie nicht daran gedacht hatte, sich nach seinem Privatleben zu erkundigen, oder weil sie davon ausgegangen war, ein Krüppel könne keine Liebesbeziehung haben? - Zumindest nicht mit einer so umwerfend attraktiven Frau wie Sachs, die als Mannequin gearbeitet hatte, bevor sie auf die Polizeiakademie gegangen war.
    Er stellte die beiden einander vor und erzählte dann von Arthur Rhymes Verhaftung.
    Sachs hörte besorgt zu und fragte Judy, wie sie mit der Situation fertig werde. Dann:
    »Haben Sie Kinder?«
    Rhyme wurde klar, dass nicht nur Judy, sondern auch er selbst einen Schnitzer begangen hatte. Er hatte es versäumt, nach ihrem Sohn zu fragen, dessen Name ihm entfallen war. Und wie sich herausstellte, war die Familie noch gewachsen. Neben Arthur junior, der auf die Highschool ging, gab es zwei weitere Kinder. »Henry ist neun, und unsere Tochter Meadow ist sechs.«
    »Meadow?«, fragte Sachs überrascht. Der Grund ihres Erstaunens war Rhyme im ersten Moment schleierhaft.
    Judy lachte verlegen auf. »Und wir wohnen in Jersey. Aber der Name

Weitere Kostenlose Bücher