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Der Tag an dem die Sonne verschwand

Titel: Der Tag an dem die Sonne verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Domian
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aufgeschlagen und an einigen Rahmen hingen gefüllte Urinbeutel oder auch kleine Flaschen mit Wundflüssigkeit. Ging ich dann allerdings näher heran und schob die Decken zur Seite, sah ich, dass die Zu- und Ableitungen im Nichts, sprich auf dem Bettbezug, endeten.
    Ein ähnliches Bild bot sich mir auf der Intensivstation. Sauerstoffmasken, zahlreiche Schläuche, Kabel und Röhren lagen so angeordnet auf der Bettfläche, als hätte sich der dazugehörige Mensch schlichtweg in Luft aufgelöst. Und die Herz-Kreislauf-Überwachungsgeräte schrillten in eintönigen hohen Frequenzen den Todesalarm. Das hielt ich nicht lange aus. Was war geschehen? Die schwer kranken Menschen, die noch vor Kurzem dort gelegen hatten, konnten unmöglich geflohen sein.
    Ich rannte auf eine andere Station, irrte ziellos umher. Überall das gleiche Bild. Dann stand ich plötzlich vor der Eingangsschleuse zu einem OP-Bereich. Ohne lange zu überlegen, betrat ich einen neonbeleuchteten Operationssaal. Die großen Scheinwerfer über dem OP-Tisch waren eingeschaltet, und Todesalarm, wie zuvor auf der Intensivstation, hallte durch den sterilen Raum. Auf dem Tisch lagen grüne, blutverschmierte Tücher. Etwa in der Mitte klaffte ein Loch – und zu sehen war der blanke Stahl der Liegefläche. Kabel und Schläuche führten vom Tisch zu diversen Geräten, und verschmutztes OP-Besteck schien wahllos abgelegt worden zu sein. Hier hatte man operiert. Das war eindeutig. Einen narkotisierten Menschen. Mochten die Operateure und Krankenschwestern eventuell in Panik geflohen sein, der Betäubte wäre dazu nicht imstande gewesen.
    Nur: Er lag nicht mehr auf dem OP-Tisch!
    Eine unfassbare Katastrophe musste geschehen sein. Waren die Menschen tot? Aber wenn sie tot waren, wo befanden sich ihre Leichen? Und warum war ich nicht tot? Warum konnte ich, gerade ich, ganz normal überall umhergehen? Ich verspürte auch keinerlei Schmerzen oder sonstige Einschränkungen, als Zeichen eines verspäteten und nun unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruchs. Körperlich fühlte ich mich wohl und topfit. Ich beschloss, die Klinik so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Irgendwo in der Stadt gab es mit Sicherheit einen Anhaltspunkt für die mysteriösen Ereignisse des vergangenen halben Tages. Ich rannte durch ein Nebentreppenhaus nach unten ins Erdgeschoss. Und verlief mich. Wo war der Flur, der zum Ausgang führte? Ich suchte und suchte. Und stand auf einmal in einem kleinen Raum, dessen Tür nur angelehnt gewesen war. Ich sah weiße Kacheln, grell leuchtende Lampen an der Decke – und einen großen gelblichen Paravent. Ich machte einige Schritte darauf zu, schob das Gestell zur Seite – und mir stockte der Atem. Angst und Glück im Widerstreit lähmten mich. Denn vor mir lag auf einem Behandlungstisch aus hellem Kunststoff: ein Mensch . Er war komplett bekleidet, sah verwahrlost aus, so wie ein Obdachloser, hatte die Augen geschlossen und verbreitete einen üblen Gestank, der an alten Schweiß und sehr schmutzige Wäsche erinnerte.
    Der erste Mensch, seit Stunden! Also waren doch nicht alle geflohen. Vielleicht war der Verwahrloste, der schon recht alt schien, so besoffen gewesen, dass er nicht fliehen konnte. Vielleicht hatte man ihn zum Ausnüchtern dort hingelegt. Dachte ich im ersten Moment. Wobei der Gedanke keine Logik hatte, in Anbetracht meiner Eindrücke kurz zuvor im Operationssaal. Aber die Freude, endlich einen Menschen gefunden zu haben, ließ mir die Überlegung für einige Sekunden plausibel erscheinen. »Können Sie mich hören?«, fragte ich mit verhaltener Stimme, wartete ein wenig, ging dann noch näher heran und wollte laut sagen: »Hallo, wachen Sie auf!« Dazu aber kam es nicht mehr, denn im gleichen Moment hatte ich seine Hand gepackt, mit der Absicht, sie kräftig zu schütteln, und dabei entfuhr mir ein so gellender Schrei, dass ich selbst erschrak. Ich sprang zurück, blickte mich hektisch um, machte wieder einen Satz hin zu dem Mann, fasste ihn erneut an, zuerst seine Hand, dann sein Gesicht – und musste erkennen: Er war tot!
    Also hatten nicht alle Menschen die Flucht ergriffen. Offensichtlich aber die meisten – und die Zurückgebliebenen waren dann, warum auch immer, umgekommen. Wie jedoch war es zu erklären, dass auf dem OP-Tisch niemand mehr lag? Und die Schwerkranken auf der Intensivstation? Hatte man sie in großer Eile fortgeschafft? Kaum vorstellbar. Eigentlich hätten auch sie, ebenso wie der Verwahrloste, sollte es eine

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