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Der Tag an dem die Sonne verschwand

Titel: Der Tag an dem die Sonne verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Domian
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Gurren, Trillern, Jaulen, Quieken und weiteren undefinierbaren Geräuschen entgegen. Die Luft war zwar jetzt auch schlecht – aber ich hörte fast nichts. Nur ein zurückgenommenes Glucksen. Meine Blicke rasten durch den Raum. In alle Richtungen. Zu den Käfigen, Behältnissen, Terrarien, Aquarien – und ich sah kein einziges Tier . Nicht einmal einen Zierfisch in dem kleinen gläsernen Becken direkt neben der Eingangstür konnte ich entdecken.
    Aus der Zoohandlung Keller war alles Leben verschwunden.
    Was hatte sich zugetragen?
    Wie gelähmt stand ich mitten in dem Tierladen, spürte zum ersten Mal seit den merkwürdigen Ereignissen des Vortages eine atemberaubende Einsamkeit, und ein nie gekanntes Grauen griff tief in meine Seele. Wo waren die Tiere? Alle waren eingesperrt gewesen. Wilde Spekulationen schossen mir durch den Kopf und bewogen mich schließlich zu einem Plan, den ich sofort umsetzen wollte. Also raus aus der Zoohandlung. Wieder hinein in die Kälte. Die dicken Schneeflocken des Vorabends hatten sich inzwischen in herniederrasende kleine weiße Körner verwandelt, die auf meine Kapuze prasselten. Eine fast einstündige Wegstrecke lag vor mir. Ich wollte zum nördlichen Stadtrand, zur dort angesiedelten Justizvollzugsanstalt.
    Als ich endlich vor dem riesigen Gebäude stand, war ich sehr erschöpft und spürte zum ersten Mal in dieser Nacht Hunger und Durst. Kein Wunder, hatte ich doch fast zwölf Stunden nichts mehr zu mir genommen. Um mein leibliches Wohl aber ging es mir in diesem Moment nun wirklich nicht. Ich wollte unbedingt in das Gefängnis hinein. Das war mein Anliegen. Irgendwie musste ich es schaffen.
    Während meiner Wanderung zu dem Gebäude hatte ich wieder nichts Hoffnungsvolles entdeckt. Keine Spuren, keine Hinweise. Überall dasselbe Bild: Häuser mit erleuchteten Fenstern, verlassene Autos, einige mit offen stehenden Türen, eingeschneite Tische und Stühle vor Cafés und Restaurants, vereinzelt lagen auf den Bürgersteigen und Straßen Fahrräder, Taschen oder gefüllte Einkaufsbeutel herum, mittlerweile auch dick weißummantelt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich schon irgendwie damit abgefunden, oder sagen wir zumindest arrangiert, dass ich auf keine Menschen treffen würde. Ich hoffte noch immer, sie seien alle geflohen. Obwohl sich schon eine ganz andere Vermutung in mir breitmachte.
    Und genau diese Ahnung wurde bestätigt, als ich es nach vielen Bemühungen endlich geschafft hatte, ins Innere der Justizvollzugsanstalt zu gelangen. Fast alle Zellen waren verschlossen – aber in keiner einzigen befand sich ein Gefangener. Nichts, aber auch gar nichts deutete darauf hin, dass alle Menschen, die sich vormals in dem Gemäuer aufgehalten hatten, also Personal und Insassen, gemeinschaftlich geflohen waren. Die Zellentüren hätten sonst geöffnet sein müssen, ebenso die Außenpforten des Gefängnisses. Aber auch die waren verschlossen, so dass niemand das Gebäude hätte verlassen können.
    Etwas Unfassbares musste passiert sein.
    Etwas nie Gekanntes. Ein Unglück unbeschreiblichen Ausmaßes, das alles Lebendige (die Pflanzen offensichtlich ausgenommen) plötzlich oder innerhalb von wenigen Minuten hatte verschwinden lassen. Die Menschen, die Tiere waren nicht geflohen – sie waren einfach weg. Vielleicht zerfallen zu nichts? Zeichnete ein gigantischer Umweltgau dafür verantwortlich?
    Oder hatte es einen kriegerischen Angriff gegeben? Mit absolut geheimen und derart todbringenden Waffen? Wenn ja, wer steckte dahinter? Oder war ein riesiges, streng geheimes wissenschaftliches Experiment aus dem Ruder gelaufen? Hatte gar eine kosmische Katastrophe die Erde heimgesucht? War überhaupt die ganze Erde betroffen? Oder nur europäische Regionen? Ich verlor mich in meinen Mutmaßungen …
     
    Und bis heute, neunundzwanzig Tage nach dem plötzlichen Wintereinbruch, habe ich keine Antworten. Ich weiß nicht, was vor knapp einem Monat geschehen ist. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte. Und vor allem weiß ich nicht, warum ich noch lebe, warum gerade ich verschont wurde. Ich hatte doch an jenem Nachmittag gar nichts Außergewöhnliches getan, was mich auf wundersame Weise hätte schützen können. Ich war nur an meinem Fenster gesessen – und hatte mir die sonderbaren Wetterereignisse angeschaut. Vielleicht aber war es anderen ähnlich ergangen. Vielleicht existierten ja doch noch Menschen. Vielleicht sogar in der Umgebung meiner Stadt, in meinem Land oder zumindest am anderen Ende der

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