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Der Tag, an dem John Dillinger starb

Der Tag, an dem John Dillinger starb

Titel: Der Tag, an dem John Dillinger starb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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konnte, daß er unbewaffnet war. Der Singsang verstummte. Dann raschelte es im Gestrüpp, und Ortiz erschien am Rand der Lichtung. Sekunden später tauchte neben ihm ein junger Apache auf, der Juanita in einer Decke trug.
     »Stell sie hin!« befahl Dillinger ihm.
     Der junge Indianer verstand ihn nicht, aber als Ortiz ihm einen kurzen Befehl in seiner Sprache erteilte, setzte er die Kleine vor Ortiz ab. In diesem Augenblick erkannte sie Rivera, der von Villa festgehalten und vorwärts gestoßen wurde. Sie stand auf, um zu ihrem Vater zu laufen, aber Ortiz umklam­ merte ihre Hand.
     »Setz dich hin!« wies er Juanita an. »Noch nicht.«
     Dann ging Ortiz langsam bis in die Mitte der Lichtung, wo er von den anderen erwartet wurde. »Hab ich dich endlich, Rivera!« knurrte der Apache. Er nickte Villa zu. »Ich über­ nehme ihn gleich.«
     Niemand hätte ängstlicher und mitleiderregender wirken können, als Rivera in diesem Augenblick aussah.
     »Rivera, du bist gestorben, als du Pater Tomas erschossen hast«, stellte Ortiz fest. »Du bist gestorben, als du zwanzig Apachen im Bergwerk ihrem Schicksal überlassen hast. Heute vollstrecke ich lediglich das Urteil.«
     »Laß das Palaver!« forderte Dillinger ihn auf. »Dein Mann
    soll die Kleine herbringen.«
     Ortiz nickte dem jungen Apachen zu, der Juanita mit ihrer Decke hochhob und nach vorn zu Ortiz trug.
     »Wir tauschen jetzt Gerechtigkeit gegen Gerechtigkeit«, fuhr Ortiz fort, »Leben gegen Leben.«
     »Nein, das tun wir nicht!« rief Rivera aus, war mit einem Satz bei seiner Tochter und bückte sich nach ihr. Villa, der vor Überraschung losgelassen hatte, versuchte jetzt, ihn zurückzu­ reißen.
     Ortiz griff blitzschnell unter sein Hemd, zog einen langläufi­ gen Smith & Wesson, zielte mit einem irren Leuchten in den Augen auf Rivera und drückte drei-, viermal nacheinander ab. Rivera ließ das strampelnde, schreiende, zu Tode erschrockene Kind fallen. Als Rivera zusammenbrach, hob Ortiz den Revol­ ver und jagte die letzten Schüsse Villa in die Brust. Dann schnappte er sich die kreischende Juanita und verschwand mit ihr im Dickicht.
     Dillinger erkannte, daß Ortiz’ Verrat den jungen Apachen völlig überrascht hatte, denn der andere blieb sekundenlang wie gelähmt stehen, bevor er sich in Bewegung setzte und hinter Ortiz herlief.
     John Dillinger, der grausam Enttäuschte, wartete darauf, daß sein Körper von Kugeln durchsiebt werden würde, die aus beiden Richtungen kommen konnten: aus dem Gebüsch oder aus der Kapelle. Er betrachtete die vor ihm Liegenden. Rivera war eindeutig tot. Villa atmete noch, deshalb kniete Dillinger neben dem Mann nieder, der bei jedem Ausatmen Blutblasen vor den Lippen hatte und dessen Blick zu sagen schien: »Ich hab eben Pech gehabt, amigo«, bevor er die Augen schloß und starb.
     Chavasse, Rose und Nachita kamen von der Kapelle her über die Lichtung. Alle drei waren mit Gewehren bewaffnet, aber sie schossen nicht ins Gestrüpp, weil sie fürchteten, mit Ortiz auch das Kind zu treffen.
     Dillinger versuchte, etwas Tröstliches zu Rose zu sagen, aber sie wandte sich ab.
     »Ihr geht in die Kapelle zurück«, wies Nachita sie an. »Ich bin gleich wieder da.« Er verschwand in die Richtung, in die Ortiz geflüchtet war.

    17

    Sie setzten Rivera und Villa in einem flachen Grab unter Kiefern bei. Danach kehrte Dillinger in Gedanken versunken zur Kapelle zurück.
     Er stand an einem der Fenster und blickte in die Wüste hinaus und zu den Bergen jenseits des Tals hinüber. Eigenartigerweise war er nicht müde, sondern hatte das Gefühl, soeben aus einem langen Schlaf erwacht zu sein.
     Ein Windstoß kam durchs offene Portal, ließ die Laterne über dem Altar an ihrer Kette knarren und brachte würzigen Kie­ fernduft mit. Dillinger atmete ihn tief ein. Als das leise Knarren aufhörte, war die Stille fast mit Händen greifbar.
     Chavasse schlief friedlich; der Schlaf hatte die tiefen Spuren der Anstrengungen, die hinter ihm lagen, von seinem Gesicht gewischt. Rose lag ebenfalls schlafend auf ihrer Decke zu­ sammengerollt und hatte eine Hand unter den Kopf geschoben. Dillinger blieb lange vor ihr stehen und sah auf sie herab. Dann füllte er zwei Feldflaschen aus dem Brunnen, griff nach seiner Maschinenpistole und trat ins Freie.
     Nachita kam eben aus dem Gebüsch am Rande der Lichtung. Sein Gesicht war schweißnaß.
     Dillinger ging rasch auf ihn zu. »Du atmest schwer«, sagte er.
     »Mein Pferd

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