Der Tag, an dem John Dillinger starb
Vorderbeinen gefesseltes Pferd, das nur Ortiz gehören konnte, und daneben ein kleines Mädchen, das eben aufzuwachen schien. »Juanita!« hätte Rose am liebsten laut gejubelt.
»Vorsicht!« flüsterte Nachita warnend. Er deutete auf die Felsen direkt unter ihnen. Dort lauerte Ortiz mit dem Gewehr im Anschlag. Dillinger war nirgends zu sehen.
»Rose und Chavasse, ihr bringt die Kleine in Sicherheit. Wenn ihr fast bei ihr seid, erledige ich Ortiz.«
Nach Atem ringend erreichte Dillinger jetzt eine Position, von der aus Ortiz zu sehen sein mußte. Dort unten war er! Dillinger mußte näher an ihn herankommen, damit er Ortiz gleich mit dem ersten Schuß aus seiner Thompson erledigen konnte.
Er kletterte so leise wie möglich tiefer. Plötzlich wieherte irgendwo rechts von ihm Ortiz’ Pferd. Dillinger sah Rose, die von Chavasse gefolgt auf Juanita zulief. Im nächsten Augen blick ließ sie ihr Gewehr fallen und schloß das kleine Mädchen in die Arme.
Auch Ortiz beobachtete diese Szene und schrie wie ein Ver rückter auf, dem sein kostbarster Besitz gestohlen wird. Dillin ger kletterte auf den Felsblock vor ihm und hielt seine Maschinenpistole schußbereit, aber Ortiz, der Unverständliches in seinem Dialekt schrie, rannte auf Rose und Juanita zu. Dillinger sah, wie Chavasse sich auf ein Knie niederließ, um besser auf den hakenschlagenden Apachen zielen zu können. Der Franzose verfehlte Ortiz mit dem ersten Schuß, der einen Felsen traf und als Querschläger davonsurrte. Er drückte noch zweimal rasch nacheinander ab, schien den Apachen jedoch nicht getroffen zu haben, denn Ortiz wurde keineswegs lang samer. Dillinger hastete atemlos über die Felsen bergab und verfluchte zum erstenmal in seinem Leben die Thompson, weil sie zu sehr streute, als daß er es hätte riskieren dürfen, auf Ortiz zu schießen, solange Rose und Juanita sich hinter ihm in der Schußlinie befanden.
Warum schießt der Franzose nicht weiter? Überlegte Dillin ger aufgebracht, während er über die scharfkantigen Felsen sprang und jede Sekunde in Gefahr war, zu stürzen und sich zu verletzen. Chavasse versuchte anscheinend, eine Ladehem mung seines Gewehrs zu beseitigen, als Ortiz bereits nahe genug heran war, um ihm die Waffe mit einem Tritt aus den Händen zu schlagen. Aus dem Augenwinkel heraus sah Dillin ger, daß Rose Juanita abgesetzt hatte, um nach ihrem Gewehr zu greifen. Sie hätte die Kleine nicht mehr loslassen dürfen. Sie hätte mit Juanita in entgegengesetzter Richtung fliehen sollen.
Ortiz nahm seine Chance wahr. Anstatt seinen Zorn an Cha
vasse auszulassen, was er ursprünglich vorgehabt hatte, rannte er auf das Mädchen zu, und Dillinger erfaßte augenblicklich die drohende Gefahr. Sobald der Apache die Kleine an sich gedrückt hielt, war die Thompson wertlos. Dillinger spurtete wie beim 100-Meter-Lauf in der High School, ließ zuletzt die Maschinenpistole fallen und setzte alles auf eine Karte, indem er sich von hinten gegen Ortiz’ Beine warf, sie umklammerte und den Mann mit sich zu Boden riß.
In seinem Zorn entwickelte der Apache jedoch Bärenkräfte: Er rollte sich mit einem Aufschrei ab, kam als erster hoch und begrub Dillinger unter sich.
»Lauf mit der Kleinen weg!« rief Dillinger Rose zu, bevor die Finger des Indianers sich um seinen Hals schlossen.
Rose, die keine drei Meter von den beiden entfernt mit dem Gewehr in der Hand dastand, wußte nicht, wie sie auf Ortiz schießen sollte, ohne Dillinger zu treffen.
»Nimm die Kleine und lauf wie der –« Ortiz’ Hände, die stärksten, die Dillinger je an sich gespürt hatte, drückten seine Luftröhre zusammen und schnürten ihm die Luft ab, so daß sein Warnschrei in einem Röcheln erstickte. Wenigstens ist die Kleine gerettet, dachte er noch, aber so wollte ich nicht enden …
Und dann, während er in Ortiz’ Gesicht starrte, das sich über ihm vor der Sonne zu drehen schien, spürte Dillinger, wie sich
der eiserne Griff des Apachen plötzlich lockerte.
»Schuft!« hörte er Nachita sagen, der Ortiz von hinten in den Schwitzkasten genommen hatte. »Geronimo hätte dich nicht mal die Pferde halten lassen!«
Dillinger sah Nachitas Messer zweimal wie in Zeitlupe in Ortiz’ Körper verschwinden, und Ortiz verdrehte die Augen. Als Nachita zurücktrat, rollte Ortiz von Dillinger und blieb unbeweglich liegen.
Irgendwo in seiner Nähe hörte Dillinger Juanita weinen. Dann erschien Chavasse vor ihm, und im
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