Der Tag, an dem John Dillinger starb
nicht mehr die Kraft, sich gegen diesen Befehl aufzulehnen. Statt dessen wandte er sich mit hängenden Schultern ab.
Nachita und Ortiz sprachen in ihrem Dialekt miteinander. In der allgemeinen Stille trugen ihre Stimmen weit. Das Gespräch schien mit wachsender Erregung geführt zu werden. Als Nachita sich nach einiger Zeit abwandte und zurückkam, blieb Ortiz noch stehen und schrie ihm unverständliche Drohungen oder Verwünschungen nach.
»Was gibt’s?« fragte Rose und nahm Nachitas Hände in die ihren.
»Ortiz will nicht mit mir verhandeln. Er bezeichnet mich als Verräter unseres Volkes, weil ich mit euch allen gemeinsame Sache mache.«
»Mit wem will er sonst reden?« erkundigte Dillinger sich.
»Mit dir«, antwortete der Alte. »Er sagt, daß der Mann mit dem weißen Wagen unser Führer ist.«
»Nein!« Rose vertrat Dillinger den Weg. »Ortiz ist jetzt unbe rechenbar. Ihm ist alles zuzutrauen!«
Jeder konnte sehen, daß sie sich Sorgen um Dillinger machte. Er lächelte, während er seine Maschinenpistole weglegte. »Kopf hoch, Engel, schließlich kann jeder Tag der letzte sein.«
»Eigentlich müßte ich mit ihm verhandeln«, sagte Rivera, der bisher geschwiegen hatte.
Dillinger schüttelte den Kopf. »Daß wir das vermutlich nicht mehr können, haben wir Ihnen zu verdanken.«
Er trat in den heißen Sonnenschein hinaus und marschierte über die Lichtung. Ortiz erwartete ihn mit in die Hüften ge stemmten Armen.
»Sie sind also über den Berg gekommen«, begann Ortiz auf englisch, als Dillinger vor ihm stand. »Das hätte ich nicht für möglich gehalten. Ich bewundere Ihre –«
»Sie haben mich nicht herkommen lassen, um mir Kompli mente zu machen«, unterbrach Dillinger ihn. »Was wollen Sie von mir, Ortiz?«
»Sie sollen Rivera eine Botschaft von mir überbringen«, antwortete der Apache. »Richten Sie ihm aus, daß ich das Kind übergebe, sobald er sich mir ausliefert. Sie und die anderen können dann ungehindert abziehen.«
»Woher weiß ich, daß die Kleine noch lebt?«
»Überzeugen Sie sich selbst!«
Ortiz machte kehrt und forderte Dillinger mit einer Handbe
wegung auf, ihm zu folgen. Sie bahnten sich einen Weg durchs Gebüsch und erreichten eine kleine Lichtung unter Kiefern, auf der die Indianerpferde weideten. Sie wurden dort von einem einzigen Apachen bewacht; die übrigen Männer waren nir gends zu sehen. Juanita de Rivera saß in seiner Nähe auf einer Decke und spielte mit ihrer Puppe.
Sie war blaß, und ihre Augen wirkten in dem rundlichen Kindergesicht unnatürlich groß. Dillinger kniete vor ihr nieder. »Hallo, Juanita, kennst du mich noch?«
Ihr Samtkleid war schmutzig und zerrissen. Sie fuhr sich mit einer Hand über die Augen und fragte: »Kommt meine Mama bald wieder?«
Dillinger tätschelte ihre Schulter und stand auf. »Wieviel Wasser habt ihr?« fragte er Ortiz.
»Genug«, behauptete der Indianer.
John Dillinger schüttelte den Kopf. »Ihr seid von der letzten Wasserstelle aus mindestens fünfzig Meilen weit geritten und habt damit gerechnet, hier reichlich Wasser vorzufinden.«
»Sagen Sie Rivera, daß ich ihm noch eine halbe Stunde ge
be«, forderte Ortiz ihn auf. »Danach gibt’s keine Verhandlun gen mehr. Ich habe ihn lange genug am Leben gelassen.«
Dillinger bahnte sich einen Weg durchs Unterholz zurück, hatte das Gefühl, rechts und links von unsichtbaren Augen beobachtet zu werden, und marschierte über die Lichtung zur Kapelle. Er trat ein und schloß die Tür hinter sich.
Rivera machte erwartungsvoll einen Schritt auf ihn zu. »Was will er?«
»Sie!« antwortete Dillinger mit brutaler Offenheit. »Wenn Sie sich innerhalb der nächsten halben Stunde Ortiz ausliefern, übergibt er uns das Kind und läßt uns ungehindert abziehen.«
»Hast du Juanita gesehen?« erkundigte Rose sich. »Wie geht’s ihr?«
»Sie wirkt ein bißchen mitgenommen, aber ansonsten scheint ihr nichts zu fehlen.« Er wandte sich an Rivera. »Wofür haben Sie sich entschieden?«
Der Mexikaner war leichenblaß. Sein Gesicht war schweiß bedeckt. Er rang nach Worten, um schließlich heiser zu fragen: »Gibt’s wirklich keine andere Möglichkeit?«
»In dem Augenblick, in dem Sie Nachitas Plan durchkreuzt haben, haben wir den einzigen Vorteil eingebüßt, den wir bis dahin hatten.«
»Aber was ist mit dem Brunnen? Die anderen brauchen doch bestimmt Wasser?«
»Die halten’s noch ein paar Tage
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