Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
durch. „Ich dachte, wir erfahren hier was über Strategien und Visionen und wie man seine Potenziale nutzen kann.“
„Und ich dachte, wir erfahren hier, wie wir unseren Umsatz steigern können“, sagte Claudia und streckte ihm die Hand entgegen, um sich vorzustellen: „Claudia Brandt, mit dt.“
„René Sommerfeldt, auch mit dt“, sagte er.
Während sie sich gegenseitig in Augenschein nahmen, registrierte Claudia, dass er eine schlanke Figur und ein gut geschnittenes Gesicht hatte und sehr jung wirkte, fast so, als habe er sich gerade frisch an der Uni immatrikuliert. Außerdem hatte er eine Kraft in seiner Farbgebung, die ihr bisher entgangen war. Alles an ihm war goldblond, orangebraun oder honiggelb, von den Haaren über die Haut bis zu den Klamotten. Er war sicher kein Typ, der die Frauen reihenweise zum Umkippen brachte, aber er sah schon nett aus.
„Frank Thiemann, mit th“, sagte Frank und drängte sich zwischen sie. „Ich fass es nicht, Leute. Und dafür haben uns die Amis nun herzitiert.“
„Immerhin haben wir jetzt noch zwei freie Tage vor uns“, sagte Claudia. „Die werden uns für den Horror entschädigen. Hoffe ich zumindest.“
René schlug vor, irgendwo einen Happen essen zu gehen, denn er sei am Verhungern. Also suchten die drei das hauseigene Restaurant auf, das zwar die Ausstrahlung einer Firmenkantine hatte, aber am schnellsten zu erreichen war. Claudia bestellte sich nur einen gemischten Salat. René und Frank nahmen das Steak, halb durchgebraten und mit reichlich Kartoffelbrei und Zwiebelringen garniert.
Während des Essens fragte Claudia René über sein berufliches Vorleben aus, und er stand ihr kauend Rede und Antwort. Er hatte Chemie studiert und nach der Promotion an einer mitteldeutschen Uni als Postdoc gearbeitet, erfuhr sie. Aber das habe ihm nicht gefallen. Nun würde er halt für Haverpore Filter, Bakterienstämme und Antikörper verkaufen. Auch gut.
Er sprach Hochdeutsch, aber wenn Claudia genau hinhörte, meinte sie einen süddeutschen Akzent darin auszumachen. Er sei in einem oberbayerischen Kaff aufgewachsen, sagte er, als habe er ihre Gedanken erraten. Aber die Mundart habe er sich systematisch ausgetrieben, weil man damit in der akademischen Welt wie ein Running Gag daherkäme. Nur beim Granteln, Schimpfen und Fluchen würde es ihn noch überkommen, und dann gebe es kein Halten mehr.
Nach dieser Erklärung orderte er einen Nachschlag Kartoffelbrei, den er zügig und mit Genuss verzehrte. Offensichtlich hatte er eine Vorliebe für fette, stark gesalzene Speisen.
Bei der dritten Portion Kartoffelbrei begannen Claudia und Frank unruhig mit den Füßen zu scharren, denn sie wollten aufstehen und gehen. Mittlerweile waren sie schon so oft in Amerika gewesen, dass sie viele landestypische Gewohnheiten angenommen hatten. Hier war es zum Beispiel nicht üblich, nach dem Essen noch stundenlang am Tisch sitzen zu bleiben und Konversation zu machen. Aber als höfliche und aufmerksame Kollegen warteten sie natürlich, bis der Neue seine Mahlzeit beendet hatte.
In den nächsten Stunden schwärmten die Haverpore -Mitarbeiter in Gruppen aus, um zu Fuß oder per Wassertaxis die nähere Umgebung zu erkunden. Claudias Reiseführer bezeichnete Fort Lauderdale als das „Venedig von Amerika“. Trotzdem zogen sich die meisten Kollegen gleich in eine der klimatisierten Shoppingmeilen zurück und wurden für den Rest des Nachmittags nicht mehr draußen gesehen.
Claudia und Frank hatten andere Pläne. Sie holten ihr Auto von der Mietwagenstation des Hotels ab und luden René ein, mit ihnen eine Spritztour entlang der Küste zu unternehmen. Das war kein ungetrübtes Vergnügen, denn kaum hatten sie die Tiefgarage des Gebäudes verlassen, stülpte sich die subtropische Hitze auch schon wie eine dampfende Glocke über sie. Selbst die Atlantikbrise brachte keine nennenswerte Erfrischung. Während der Fahrt blickte Claudia René immer wieder an. Er kratzte sich pausenlos an den Armen und Beinen, angeblich, weil die Mücken sich in Scharen auf ihn stürzten. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Fenster zu schließen und die Klimaanlage anzustellen. Danach schien sich seine Haut zu beruhigen.
Der Anblick der Strände war eine Wucht. Wohin Claudia auch blickte, überall sah sie imposante Kokospalmen, weißen Zuckersand und träge heranrollende Wellenkämme. Ansonsten gab es sicher hübschere Bundesstaaten als Florida. Wenn sie landeinwärts überhaupt Grünes zu sehen bekam,
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