Sterbliche Hüllen: Thriller (German Edition)
1
S ein Kopf ist nicht richtig drauf.«
»Er scheint nicht zu passen. Vielleicht ist es gar nicht sein Kopf.«
»Dr. Fallon …«
Diane Fallon, die Direktorin des RiverTrail-Naturkundemuseums, blickte von ihrer Schreibarbeit auf, die sie gerade erledigte. Amüsiert beobachtete sie, wie Gary und Samantha auf einer Arbeitsbühne herumbalancierten und dabei den Schädel eines Riesenfaultiers festzuhalten versuchten, der in einem unmöglichen Winkel auf dem vier Meter fünfzig hohen dazugehörigen Skelett thronte. Gary mühte sich gerade damit ab, den störrischen Schädel mit einem Draht am Skelett festzumachen.
»Wartet mal einen Augenblick!«
Sie stieg die Leiter zur Arbeitsbühne hinauf, um sich das Problem aus der Nähe anzusehen. Während sie sich oben auf den Bauch legte, schaute sie auf die Uhr. Es war spät und sie war müde. Sie untersuchte die Knochen, schüttelte den Kopf und zeigte auf den Nacken des riesigen Vorzeittiers: »Ihr habt den Atlaswirbel verkehrt herum eingesetzt.«
»Sind Sie sicher?«
»Ja, Gary, ich bin mir sicher. Knochen sind wie die Teile eines Puzzles. Wenn man sie richtig zusammensetzt, dann passen sie auch zusammen. Wie, glauben Sie, würde Ihnen Ihr Kopf passen, wenn Ihr Genick verkehrt herum säße?« Die anderen Studenten begannen zu kichern. »Haben Sie das Diagramm befolgt, das ich Ihnen gegeben habe?«
»Ja … also, ich war mir eigentlich sicher. Ich habe ihn ja auch bereits mit Draht fixiert.« Er sagte dies mit einem Unterton, als ob er erwartete, dass Diane als Nächstes zu ihm sagen würde: »Na, dann müssen wir halt nur dafür sorgen, dass der Kopf doch noch passt, oder?«
Tatsächlich sagte sie aber: »Dann bleibt Ihnen wohl nichts anderes übrig, als das Ganze noch einmal zu machen.«
»Aber es ist doch schon spät, Dr. Fallon. Morgen habe ich einen wichtigen Test, für den ich noch lernen muss.«
»Morgen Abend ist die Ausstellungseröffnung. Test oder nicht, dieses Ausstellungsstück muss bis dahin fertig sein. Sie kannten den Zeitplan seit Semesteranfang. Legen Sie den Schädel ganz sachte auf die Arbeitsbühne. Dann entdrahten Sie den Atlaswirbel und setzen ihn richtig herum ein. Folgen Sie genau meiner Zeichnung!«
»Oh Mann«, jammerte Gary und Samantha schien den Tränen nahe. Aber da war nun mal nichts zu machen. Der Ausstellungstermin stand bereits seit langem fest.
Leslie, die dritte Studentin im Bunde, schaute auf die Uhr, als Diane die Leiter wieder hinunterkletterte. »Es ist bereits ganz schön spät«, meinte sie dann.
»Mir ist schon klar, dass das Ganze ziemlich unfair ist.« Diane entfernte ein Stück Verpackungsband von ihrer Hose. »Normalerweise können Studenten ihre Kommilitonen fragen, wie es ist, für den oder jenen Professor oder Dozenten zu arbeiten, aber ich bin neu hier im Museum und deshalb kennt mich halt noch keiner. Ihr könnt ja jetzt all eure Kameraden über meine Grundsätze informieren: Bei mir hat man die zugewiesenen Arbeiten korrekt und rechtzeitig zu erledigen. Entweder kriegt man bei mir eine Eins, oder man fällt durch. Wenn wir bis zur Ausstellungseröffnung nicht fertig sind, seid ihr alle durchgefallen.« Die Studenten rissen vor Überraschung die Augen auf. »Ihr habt ja bereits das ganze postkraniale Skelett zusammengebaut und verdrahtet und habt das auch richtig gut gemacht. Jetzt fehlt doch nur noch der Schädel. Das dauert gar nicht so lange, wie ihr vielleicht denkt.«
»Dr. Fallon. Telefon.« Ihre Assistentin Andie brachte ihr den schnurlosen Apparat aus ihrem Büro. Diane zog sich damit von den murrenden Studenten in den Hintergrund des Raumes zurück.
»Ja?«
»Hallo Diane, wie geht’s dir?«
Diese Stimme hatte sie seit drei Jahren nicht mehr gehört und sie war überrascht, dass ihr Ton sie zum Lächeln brachte.
»Frank? Frank, mir … mir geht’s gut. Und dir? Ganz schön lange her.«
»Auch gut.« Er zögerte einen kleinen Moment. »Ich habe dir mehrere Briefe geschrieben.«
»Ich habe sie nicht bekommen.«
»Ich habe sie nicht abgeschickt.«
»Oh.«
»Darf ich dich zum Essen einladen?«, fragte er dann. »Es gibt da einiges, was ich mit dir besprechen möchte.«
»Ich weiß nicht recht. Das ist gerade eine ganz ungeschickte Zeit, Frank.«
Wieder zögerte er einen Augenblick. »Ich hasse es, dich am Telefon um einen Gefallen zu bitten.«
»Einen Gefallen? Welchen denn?« Diane schaute hinüber zu ihren Studenten, die nun eifrig an ihrem Faultierskelett arbeiteten. Sie hoffte, sie
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