Der Tag Delphi
nicht sehen sollte.«
»Wir wissen nicht, was er gesehen hat, und wir können nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, daß das, was ihm zugestoßen ist, irgend etwas mit Miravo zu tun hat.«
»Er war dort!«
»Das bezweifle ich ja nicht. Aber wir wissen nicht, ob er wirklich unmittelbar vor seinem Tod dort war. Vielleicht hatte es mit einer ganz anderen Sache zu tun. Wahrscheinlich sogar.«
»Nein!«
»Kris, sei vernünftig. Bitte.« Samantha Jordan seufzte ungeduldig. »Ich habe alles stehen und liegen lassen und bin mit dir hierhergefahren. Ich habe das ganze Pentagon gegen mich aufgebracht und meine Position im Senat kompromittiert. Ich habe mich bloßgestellt und werde nicht locker lassen, bis wir die Wahrheit kennen. Aber du darfst nicht durchdrehen und mußt mich gewähren lassen.« Die Jordan hielt inne und fuhr dann wesentlich leiser fort. »Hör zu, Kris, ich weiß, wie du dich fühlst.«
»Nein, das weißt du nicht!« Ihr Mund zitterte. »David war alles, was ich hatte, Sam, alles, was mir noch geblieben ist.«
Die Senatorin streckte die Hand aus und streichelte liebevoll Kristens Haar. »Du hast mich«, sagte sie sanft.
Kristen versteifte sich, griff nach der Hand der älteren Frau und schob sie von ihrem Kopf zurück. »Ich habe von meinem Bruder gesprochen, von meiner Familie.«
»Du bist das Beste, das mir je zugestoßen ist, Kris. Was ich für dich getan habe – du weißt gar nicht, was ich für dich getan habe.«
Etwas im Tonfall der Jordan störte Kris, und sie wandte sich zum Fenster ab.
»Sag mir, daß du es auf sich beruhen lassen kannst, Kris. Sag mir, daß du dich nicht in diese Sache verrennst.«
»Du weißt, daß ich dir das nicht sagen kann, Sam. Du weißt es.«
Der flehende Blick der Senatorin füllte sich mit Trauer und Resignation. »Ich wünschte, du hättet dich zuerst an mich gewandt. Nicht an Gathers, nicht hierher. Dann hätte es noch Hoffnung gegeben. Eine Chance.«
»Wovon sprichst du, Sam?«
»Ich habe ihnen gesagt, ich würde es auf meine Weise erledigen. Ich habe ihnen gesagt, du wärest mir zu wichtig.«
»Wem hast du das gesagt? Sam, was wird hier gespielt?«
»Es tut mir so leid, Kris. Mein Gott, es tut mir so leid.«
»Was tut dir leid, Sam?« erwiderte Kristen.
»Das hier«, sagte die Jordan mit bebenden Lippen.
Kristen schaute hinab und sah eine kleine, stahlblaue halbautomatische Pistole in ihrer Hand.
Die Pistole zitterte leicht.
»Es hätte nicht so kommen müssen, Kris.«
»Sam, was soll das? Sam!«
»Aber du bist einfach nicht bereit, dich überzeugen zu lassen. Ich hatte gehofft, nach dem heutigen Tag würde … würde …«
Kristen spürte, wie ihr Schock von einem allesumfassenden Zorn verdrängt wurde. »Du gehörst dazu! Du bist Teil dieser … dieser Verschwörung, wegen der mein Bruder sterben mußte!«
»Du gehörst auch dazu, Kris, denn du glaubst daran. Ich weiß es. Gib mir die Chance, es dir zu erklären. Ich kann dich noch immer an Bord holen. Ich kann sie überzeugen, dich mitmachen zu lassen.«
»Wen überzeugen?«
Die Pistole lag nun ganz ruhig in Samantha Jordans Hand. »Hör mir zu, Kris. Die Sache mit deinem Bruder tut mir leid. Sie tut mir wirklich leid. Es war einfach ein schrecklicher Zufall, eine Tragödie, daß er dort war, daß er es gesehen hat.«
»Was hat er gesehen, Sam? Sag mir, was er gesehen hat!«
»Mach bei uns mit, und ich werde es dir sagen. Ich verspreche dir, ich werde es wiedergutmachen. Wir können Zusammensein. Wir können immer Zusammensein.«
Kristen zog die Schultern hoch. »Du hast meinen Bruder umgebracht.«
»Ich hätte es verhindert. Hätte ich es gewußt, hätte ich es verhindert. Für dich, Kris. Ich würde alles für dich tun. Aber zwinge mich nicht dazu, das zu tun!« bat Samantha Jordan. »Zwinge mich nicht, dich zu töten! Ich liebe dich. Bitte hör mir zu. Hör mich an.«
Kristen sah ihr in die Augen. »Erschieße mich, Sam. Sonst werde ich aussteigen und davongehen.«
Senatorin Samantha Jordan nahm die Pistole in beide Hände. »Kris … Ach, Kris …«
In diesem Augenblick des Jammerns und der Unentschlossenheit der Senatorin handelte Kristen. Sie griff nach der Waffe, und es gelang ihr, die Mündung nach oben zu drücken. Als der Knall des Schusses im Wageninneren aufhallte, fuhren die beiden Frauen zusammen. Kristen warf sich auf die ältere und versuchte, den Lauf von ihrem Körper wegzudrehen. Wütende Entschlossenheit verzerrte Samantha Jordans Gesicht. Der Ausdruck des
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