Der Tag Delphi
Bedauerns, der noch vor ein paar Sekunden auf ihren Zügen gelegen hatte, war verschwunden. Augen, die sich gerade noch bemüht hatten, Liebe zu zeigen, zeigten jetzt nur noch Haß.
Kristen umklammerte die Hand der Senatorin, die die Pistole hielt, um zu verhindern, daß sie die Waffe senken konnte. Die andere Faust schob sie unter das Kinn der Senatorin. Sie drückte mit aller Kraft, und der Kopf der Jordan prallte gegen das Fenster auf der Beifahrerseite. Das Glas splitterte, und die Jordan stöhnte auf. Ihr Blick trübte sich leicht.
Kristen versuchte in diesem Augenblick, ihr die Waffe aus der Hand zu reißen, doch Samantha Jordan zog ihr mit einem lauten Kreischen die Fingernägel über das Gesicht. Kristen wimmerte vor Schmerz und spürte, daß ihr Griff um die Hand der Senatorin sich löste. Die Jordan zerrte die Pistole hinab, und Kristen warf sich auf sie und versuchte erneut, den Lauf von ihrem Körper wegzudrehen.
Der Schuß ging los. Kristen zuckte bei dem Geräusch zusammen, und der harte Stoß gegen ihren Magen konnte nur bedeuten, daß die Kugel ihr Ziel gefunden hatte.
»Sam«, stöhnte sie, »Sam …«
Sie sah zur Jordan hinab. Die Augen der Senatorin quollen hervor, und ihr Blick war starr. Kristen drückte sich hoch und sah den puterroten Fleck, der auf der Bluse der Jordan schnell größer wurde. Die Kugel hatte statt dessen die ältere Frau getroffen.
Kristen konnte nicht mehr vernünftig denken. Alles war benebelt und trüb. Die Pistole hatte sie vergessen. Das Wageninnere roch, als hätte man ein Feuerwerk darin abgeschossen.
Und ihre eigene Bluse war naß von Samantha Jordans Blut.
Zitternd gelang es Kristen, zurück hinter das Lenkrad zu rutschen. Noch immer wie in Trance fuhr sie los und wirbelte hinter sich Erde und Schotter auf. Als Kristen wieder auf die Straße fuhr, prallte der Kopf der Senatorin gegen die Fensterscheibe.
»Du gehörst auch dazu, Kris, denn du glaubst daran. Ich weiß es …«
Woran glaubte sie?
»Gib mir die Chance, es dir zu erklären. Ich kann dich noch immer an Bord holen. Ich kann sie überzeugen, dich mitmachen zu lassen.«
Samantha Jordan war eindeutig nur eine Untergebene, Teil eines viel größeren und entsetzlicheren Ganzen, das in irgendeinem Zusammenhang mit dem stand, was David in der Air-Force-Basis Miravo beobachtet hatte.
Es wurde dunkel. Kristen schaltete die Scheinwerfer ein und fuhr weiter. Sie würde nach Grand Mesa fahren, zu Sheriff Duncan Farlowe. Farlowe würde ihr helfen. Es gab keinen anderen.
Kristen war froh, daß es dunkel wurde, denn sie legte keinen besonders großen Wert darauf, Samantha Jordans Leiche auf dem Beifahrersitz zu betrachten. Sie bedauerte, daß sie mit anhören mußte, wie der Kopf bei jedem Schlagloch gegen die Tür prallte. Der Geruch des Blutes erregte Übelkeit in ihr. Doch sie würde erst anhalten, wenn sie Grand Mesa erreicht hatte.
Plötzlich tauchte hinter dem Kamm einer Erhebung der Old Canyon Road eine Straßensperre auf. Kristen hatte gar nicht gemerkt, wie schnell sie fuhr, und schaffte es gerade noch, den Wagen vor dem unausweichlich erscheinenden Zusammenstoß schlitternd zum Stehen zu bringen. Allerdings kam sie von der Straße ab und rutschte die Böschung hinab. Kalte Furcht erfaßte sie, als sie begriff, was passiert war, und sie legte den Rückwärtsgang ein, preschte zurück auf die Straße und wendete.
Zu allem Überfluß tauchten in dieser Richtung plötzlich zwei Scheinwerferpaare auf. Eine Kugel zerschmetterte die Windschutzscheibe und zwang Kristen, sich zu ducken. Sie hörte, wie zwei weitere Schüsse die Vorderreifen der Limousine durchschlugen. Sie richtete sich auf und sah, wie Bewaffnete durch das Gleißen der Scheinwerfer auf sie zugelaufen kamen, angeführt von einem Ungetüm von Mann, dessen Gesicht erschreckend häßlich war und der aussah wie …
Sein Haar! O mein Gott, sein Haar …!
Ein Bild von Davids verstümmelter Leiche blitzte durch Kristens Hirn. Duncan Farlowe hatte gesagt, ihr Bruder sei skalpiert worden.
Und dieses Ungeheuer von Mensch trug sein Haar …
Sie rutschte tiefer in ihren Sitz, wie gelähmt von dem Anblick des Mannes, und tastete verzweifelt nach der Pistole, die sie nicht mehr beachtet hatte, seit sie Samantha Jordan getötet hatte. Aber ihr Verstand schien zu erstarren, bevor sie sie gefunden hatte, und sie konnte nur mit vor Entsetzen weit aufgerissenem Mund zusehen, wie das Ungeheuer von Mensch, das Davids Haar trug, nach der Tür
Weitere Kostenlose Bücher