Der Tag der Rache. Private Berlin
ablehnen, doch er nickte. »D as wird wohl niemandem schaden.«
Mattie ging hinaus. Beide Enden der Straße waren durch Übertragungswagen von Fernsehsendern blockiert. Ilona Frei stand noch immer mit Krainer zusammen. Mattie berichtete ihnen, was sie gefunden hatten, und fragte, ob sie bereit seien hineinzugehen. Krainer glaubte, er schaffe das nicht. Er hatte schon genug mit den Gefühlen zu kämpfen, die in den letzten Stunden auf ihn hereingestürzt waren, sagte aber, er würde sich den Raum gern später ansehen.
»I ch werde reingehen«, stimmte Ilona Frei zu.
»B ist du dir sicher?«, fragte Krainer.
Sie nickte, hob das Kinn und betrat mit Mattie die Galerie. Sie ließ den Blick über das Durcheinander an Kunstgegenständen wandern, blieb aber im Büro plötzlich stehen. Mit immer ängstlicherem Blick sah sie zu der Maskensammlung hinauf.
»W as ist los?«, fragte Mattie.
»D as sind doch fast alles Masken von Ungeheuern.«
Mattie hatte sich darüber noch keine Gedanken gemacht, doch es stimmte. Gierig schielten Falks Ungeheuer auf Mattie und Ilona herab.
In der geheimen Galerie betrachtete Ilona aufmerksam und sorgfältig die Sammlung an den Wänden. Ihr Mund stand wie in Trance offen, während ihre Finger über die Gegenstände glitten.
»N icht berühren«, ermahnte Mattie sie, die ihr dicht folgte.
»N ein«, sagte Ilona. »D ie Sachen sind viel zu unheimlich.«
»D as sind sie wirklich.«
An der rechten Wand, drei Meter hinter dem Eingang, schnappte Ilona nach Luft und blieb stehen. »N ein«, stöhnte sie mit Tränen in den Augen. »N ein.«
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Die alte, wellige Aufnahme war mit einer Reißzwecke an der Wand befestigt. Sie zeigte zwei Mädchen in Badeanzügen, die sich an die Beine einer Frau, ebenfalls im Badeanzug, lehnten. Daneben hing an einem Nagel ein mattes Silbermedaillon mit der winzigen Fotografie einer schönen, jungen Frau.
»S ind das Sie und Ilse am Strand?«, fragte Mattie.
Ilona nickte. »U nd das ist mein Medaillon mit meiner Mutter. Sie gab es mir, als ich acht wurde. Es war das Medaillon ihrer Mutter. Falk nahm es mir an dem Abend weg, als wir ins Schlachthaus gebracht wurden.«
Sie wischte sich die Tränen fort und streckte voller Freude und Unglauben ihre Hand nach dem Medaillon aus. »S eit dreißig Jahren habe ich kein Bild mehr von ihr gesehen.«
Mattie ergriff ihre Hand. »S ie dürfen es nicht anfassen, Ilona. Noch nicht. Aber Sie bekommen das Medaillon, das verspreche ich Ihnen.«
Ilona sah es sehnsüchtig an, wirkte aber plötzlich erschöpft. »I ch muss nach Hause, Mattie«, sagte sie mit dumpfer, schwerer Stimme. »I ch muss schlafen. Und wir müssen morgen ganz früh in die Klinik.«
Mattie wollte nach einem Hinweis auf Chris suchen, doch es war fast zehn Uhr abends. Niklas war bereits im Bett und Tante Cäcilia wahrscheinlich auf dem Weg dorthin.
»B ringen Sie sie nach Hause«, sagte Dietrich. »E s gibt nichts mehr, was Sie hier noch tun können.«
»I ch komme mit«, bot Tom an.
»I ch brauche keinen…«, begann Mattie.
»D och«, widersprach er. »F alk ist immer noch da draußen.«
Mattie gab nach, weil sie selbst plötzlich viel zu müde war, um zu streiten. Sie hatte ihre Arbeit erledigt. Alle hatten getan, was sie konnten. Sie wussten, wer Falk war. Sie hatten seine Rolle beim Tod von Chris und Dutzenden weiteren Menschen aufgedeckt. Ab jetzt ging es in diesem Fall nur noch um die Jagd nach diesem einen Menschen.
Dietrich sorgte dafür, dass Krainer Polizeischutz bekam, als sie die Galerie durch den Hinterausgang verließen. Krainer versprach Ilona, bald mit ihr Kontakt aufzunehmen. Von den Medien unbemerkt, erreichten Mattie, Tom und Ilona rasch Matties Wagen.
In der Ferne grollte ein Donner, als sich Mattie auf den Beifahrersitz setzte. Sie überlegte, zu Hause anzurufen, fühlte sich aber sogar dazu zu müde. Im Halbschlaf ließ sie sich von Tom Richtung Norden zum Ernst-Reuter-Platz und in die Straße des 17. Juni fahren, der Straße, die dem Gedenken an den Volksaufstand in der DDR von 1953 gewidmet ist.
Matties Telefon klingelte in ihrer Jackentasche. Überrascht stellte sie fest, dass Niklas sie anrief.
»W ieso bist du denn noch auf?«, sagte sie statt einer Begrüßung. »U nd warum sind weder du noch Tante Cäcilia ans Telefon gegangen?«
Sie hörte ein Knacken in der Leitung, dann eine sanfte Stimme. »L iebe Frau Engel, es tut mir leid, dass Tante Cäcilia im Moment verhindert ist. Und Niklas ist seit Schulschluss bei
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