Wir sind bedient
Vorwort
H aben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was Ihre Putzfrau alles über Sie weiÃ? Was die Prostituierte denkt, während sie braven Familienvätern die Mittagspause versüÃt? Wie sich die Callcenteragentin fühlt, an der Sie Ihren Ãrger über Ihren Telefonanbieter auslassen? Wie es um die Wirtschaftselite unseres Landes bestellt wäre, gäbe es nicht fähige Sekretärinnen, die wissen, wie man einen Flug bucht, einen Rasierapparat repariert und unliebsame Anrufer abwimmelt? Mit welchen Tricks Ihre Bankberaterin Ihnen Versicherungen und Kredite schmackhaft machen muss? Und dass vielleicht niemand so gut über den Zustand Ihrer Ehe Bescheid weià wie Ihre Friseurin oder die Wirtin Ihrer Lieblingskneipe?
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Es gibt Frauen in diesem Land, die unser Leben weit mehr und unmittelbarer beeinflussen, als wir ahnen. Weil sie unsere Eltern pflegen, unsere Kinder versorgen, sich unsere Nöte anhören, unsere Sonderwünsche erfüllen. Weil sie dafür sorgen, dass wir einen schönen Abend erleben, besser aussehen und immer die richtige Wurst im Kühlschrank haben. Sie verkaufen, beraten, umsorgen,
hören zu. Sie lassen sich beschimpfen, ausbeuten und werden oft schlecht bezahlt. Und in den allermeisten Fällen lieben sie ihren Job.
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Es mag nicht besonders zeitgemäà sein, von »klassischen Frauenberufen« zu sprechen - schlieÃlich leiten Frauen auch Konzerne, leisten Dienst an der Waffe, schuften auf dem Bau oder führen Koalitionsverhandlungen. Aber es ist nun mal eine Tatsache, dass Dienstleistung in Deutschland eine Frauendomäne ist. Wo der Mensch im Mittelpunkt steht, wo Einfühlungsvermögen, Engagement und Disziplin gefragt sind, sind weibliche Arbeitnehmer in der Mehrzahl. Und es sind genau diese Frauen, denen im Alltag mehr aufregende Geschichten widerfahren als den meisten männlichen Vorstandsvorsitzenden in ihrem ganzen Berufsleben.
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In diesem Buch erzählen sechsundzwanzig Frauen aus ganz Deutschland die Wahrheit über ihren Job: Komisches, Trauriges, Ungewöhnliches, Skandalöses. Sie brechen Schweigepflichten, decken Missstände auf und riskieren Ãrger mit ihren Arbeitgebern - deshalb sind ihre Geschichten anonym. Ausnahmslos alle machen ihren Job gerne, und dennoch ist ihnen eines gemein: der Wunsch nach ein bisschen mehr Anerkennung, sei es durch mehr Gehalt oder mehr Prestige. Oder dadurch, dass man ihnen wenigstens einmal kurz in die Augen guckt und Danke sagt.
»Man weià nie, wann Feierabend ist.«
Annette, 38 Jahre, Hebamme, traut keinem, der sagt, er habe bei einer Geburt alles unter Kontrolle.
I ch mag Babys. Das klingt jetzt banal, aber ich musste erst richtig lernen, mir das zuzugestehen. In der Klinik, in der ich ausgebildet wurde, galt das fast als unprofessionell. Da sagte man auch nicht Baby, sondern »Kind« oder »Neugeborenes«, und die hieÃen dann nicht Lisa oder Leo, sondern »Kind Müller« oder so. Man hatte gar keine Zeit, richtig sein Herz zu öffnen, man war dazu da, um zu kontrollieren, ob es atmet und ob alle zehn Finger dran sind. Es war verpönt, die Babys süà zu finden, da hieà es dann: »Na, haste nicht genug mit Puppen gespielt, oder was?« Aber ich bin doch auch Vorbild für die Eltern. Wenn ich nicht liebevoll mit dem Kind umgehe, wie sollen die dann Antennen dafür entwickeln, wie man Kontakt zu einem Neugeborenen herstellt?
Ich kann mich noch gut an meine erste Geburt erinnern. Das war während meiner Ausbildung, ich hatte Nachtdienst und von nichts eine Ahnung. Ich stand also in meinem Kittel in der Gegend rum, als die Hebamme, die mir zugeteilt war, mich einfach zu einer Frau in den KreiÃsaal
reinschob und sagte: »So, mach mal.« Vorher hatte sie mir noch erklärt: »Je lauter man eine Frau anschreit unter den Wehen, umso besser. Wenn ich deine Stimme nicht am anderen Ende des Flures höre, dann bist du keine gute Hebamme.«
Tja, da stand ich dann. Ich hab natürlich nicht geschrien, sondern mit der Frau ein bisschen Small Talk gemacht. Das ging ganz gut, die hatte vorher ein Schmerzmittel bekommen und wenig gemerkt. Als sich das Baby dann aber endlich ankündigte, kam die Hebamme zum Glück wieder rein und hat übernommen. Und ja: Sie hat ordentlich gebrüllt, die Frau fand das, glaube ich, auch ganz gut, die hatte so ein Bild von einer forschen Hebamme. Ich stand dann nur noch stumm in
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