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Der Tag der zuckersueßen Rache

Der Tag der zuckersueßen Rache

Titel: Der Tag der zuckersueßen Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaclyn Moriarty
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genommen hast und aus der Kneipe gegangen bist, ohne Dich noch einmal umzudrehen. Es war zwar verdammt sexy, Lydia, aber es hat auch verdammt wehgetan. Ich bin ernsthaft dafür, dass wir mit diesen Spielen aufhören und anfangen, uns wie normale Menschen zu benehmen. Außerdem ist dieses viele Geschreibe schlecht für meine Hand. Ich könnte eine Sehnenscheidenentzündung bekommen. Das habe ich irgendwo gelesen. Und das könnte meine Fußballkünste ernsthaft beeinträchtigen. So viel wie in den Briefen an Dich habe ich in meiner gesamten Schulzeit nicht geschrieben. Hast Du Lust, mich mal zu Hause zu besuchen und meine Mutter und meinen kleinen Bruder kennenzulernen? Hast Du Lust, mal mit mir in die Stadt zu gehen?
    Danke, Seb
     
     
    Hallo Seb,
ich mag diese Spiele. Gestern kam ich von der Schule nach Hause und lümmelte mit meiner Mum im Wohnzimmer herum und wir aßen Kuchenwürfel und tranken Tee. Wir wussten beide, dass Dad oben in seinem Arbeitszimmer saß und an einer Urteilsbegründung schrieb, und ich musste an Cass denken. Wie es für sie gewesen sein muss, als wir neulich bei ihr waren und im Wohnzimmer saßen, während Patricia auf ihrem Heimtrainer joggte; wie sie in diesem Moment die Abwesenheit ihres Vater gespürt haben muss. Früher war er nämlich immer oben in seiner Werkstatt und arbeitete an seinen Möbeln. Er hat furchtbar gerne Möbel mit Geheimfächern gebaut und Cass setzte immer die winzigen Schlösser für ihn ein. Manchmal konnten wir seine Schritte auf den knarzenden Dielenbrettern hören und das Klappern von Dosen, die geöffnet und geschlossen wurden, und dann wussten wir, dass er gleich runterkommen würde. Und selbst, wenn er zu müde war, um zu arbeiten, konnte man sein Sofa knarzen hören, wenn er sich darauf herumdrehte. Neulich, als wir da waren, hat Cass bestimmt den ganzen Abend die Stille gehört. Mir ging es jedenfalls so. Vielleicht ist sie hoch in seine Werkstatt, als wir weg waren, und hat sich in dem leeren Raum umgesehen, mit dem Schreibtisch in der Ecke, wo er seine Entwürfe gezeichnet hat, und dem alten Billardtisch, an dem er uns das Billardspielen beibrachte. Irgendwie war es damals, direkt nach seinem Tod, fast leichter für Em und mich, weil Cass einfach zusammenbrach und wir uns um sie kümmern konnten. Sie saß neben mir im Auto auf dem Heimweg vom Krankenhaus, den Kopf an meiner Schulter. Am Tag der Beerdigung zitterten ihre Hände so sehr, dass sie sich kaum anziehen konnte, und Em und ich halfen ihr, die Knöpfe an ihrer Bluse zu schließen. Aber dann, ein paar Wochen später, tat sie so, als sei alles in Ordnung, nur dass sie stiller war als vorher, und manchmal, wenn wir mit ihr sprachen, merkten wir nach einer Weile, dass sie uns gar nicht zugehört hatte. Ems Mutter sagte damals, für Cass sei es am wichtigsten, dass wir uns ganz normal benehmen. Em sagte, sie hätte jeden Morgen eine Weile in ihrem Zimmer mit dem Fuß auf den Boden gestampft, um sich in ihr normales Ich zurückzustampfen. Und als ich so dasaß und Kuchen mit meiner Mum aß, dachte ich, dass ich eigentlich gar nicht verstehen kann, wie es ist, wenn man richtig traurig ist – mir ist noch nie was so Schlimmes passiert. Deshalb kann ich auch nicht wirklich verstehen, wie Cass sich fühlt; ich kann mich nicht in ihre Trauer hineinversetzen. Irgendwie wünschte ich, ich hätte vorher mal etwas so Furchtbares erlebt, dann wüsste ich wenigstens, wie ich ihr helfen könnte. Jedenfalls beschloss ich, dass ich mit Cass reden sollte, und zwar genau in diesem Moment. Mum meinte, das wäre eine gute Idee, und fuhr mich zu ihr rüber. Cass war allein zu Hause und wir machten uns Kakao und lungerten in der Küche herum und aßen das Kakaopulver mit Teelöffeln direkt aus der Dose, so wie damals, als wir noch Kinder waren. Und während wir so in der Küche standen, sagte ich: »Ist es dir eigentlich lieber, wenn wir nicht über deinen Dad reden?« Und dann haut sie mich echt aus den Socken. Sie sagt, als hätte sie es geübt: »Ein Jahr ist eine lange Zeit, Lyd. Und außerdem ist es ja nicht aus heiterem Himmel gekommen.« Und sie erklärt mir mit dieser praktischen Stimme: »Ich bin ein bisschen im Internet herumgesurft und habe Berichte gefunden von Jugendlichen, die ihre Eltern ganz plötzlich verloren haben, durch einen Autounfall oder so. Sie sagten alle, wie viel besser es gewesen wäre, wenn sie sich darauf hätten vorbereiten können, Abschied neh men und so. Von daher war es bei mir ja nicht

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