Der Tag der zuckersueßen Rache
sowieso keine Zeit gehabt: Wir haben bei Em übernachtet, weil ihre Eltern übers Wochenende auf eine Konferenz gefahren sind. Die Konferenz hieß: »Anwälte – sympathische, kluge und gute Menschen oder Lügner, Raffzähne und Abschaum?«, und Mr Thompson wollte eine Rede halten mit dem Titel »Zehn Tipps, wie man als Anwalt so beliebt wird wie ein Arzt«.
Ich schreibe Dir ein Beispiel aus seiner Rede auf, falls Du je daran denken solltest, Anwalt zu werden:
Tipp Nr. 3: Halten Sie Ausschau nach juristischen Notsituationen in Ihrem Alltag. Bei medizinischen Notfällen rufen die Menschen immer nach einem Arzt. Doch nie hört man jemanden rufen: »Ist hier vielleicht ein Anwalt in der Nähe?« Deshalb müssen wir Anwälte aufmerksam sein und uns selbst nach Notfällen umschauen. Hört ein Anwalt beispielsweise zufällig eine Diskussion zwischen zwei Nachbarn, die darüber streiten, auf wessen Grundstück der Zitronenbaum steht, sollte der Anwalt sofort hinzueilen und laut rufen: »Keine Angst, ich bin Anwalt! Fangen wir als Erstes mit der Frage an, wer diesen Baum gepflanzt hat!«
Rate mal, was ich Freitagabend gemacht habe: Zugehört, wie Mr T. seinen Vortrag übte. Außerdem zeigte er uns, wie man Coq au Vin macht, ohne Wein dazu zu verwenden. Ich frage mich, ob ich wohl mehr Spaß gehabt hätte, wenn ich mit Dir ins Kino gegangen wäre. Schwer zu sagen.
Muss los
Lydia
Hallo Lyd,
das ist kein bisschen schwer zu sagen. Aber Du hast mich nach Christina gefragt. Zunächst einmal be zweifle ich sehr, dass sie überhaupt von Paul Wilsons böser Seite weiß. Ich kenne sie ganz gut und zufällig geht ihre beste Freundin bei Euch auf die Schule (sie haben sich beim letztjährigen Brieffreundschafts-Projekt kennengelernt), deshalb kann sie gar nicht anti-Ashbury sein. Obwohl Euch viele Leute hier nicht leiden können. Christina ist sehr hübsch, aber auch sehr cool. Wilson hat sie ihrem langjährigen Freund Derek Turner ausgespannt, was hier für einen ziemlichen Skandal sorgte. Alle sahen es kommen, nur Turner nicht, und alle warteten wir darauf, was er tun würde, wenn ihm klar würde, dass er sie verloren hatte. Er schlug mit der Faust gegen eine Ziegelmauer und brach sich dabei die Hand. Und er versucht immer noch mit allen Mitteln sie zurückzuerobern, aber ich glaube nicht, dass er damit Erfolg haben wird. Beispiel: In den letzten Wochen ist er nur mit Unterhemd, Shorts und Badelatschen bekleidet herumgelaufen und Dir ist sicher aufgefallen, dass wir in Australien gerade Winter haben. Er erklärte Christina, er sei glücklich über jede Frostbeule, wenn er ihr damit nur begreiflich machen könne, wie sehr er sie immer noch liebe. Aber Wilson wird Christina auf keinen Fall wieder hergeben. Ich glaube, sie ist sein kostbarster Besitz. Jedenfalls, Lydia, Du Schönste aller Schönen, wie wär’s, wenn Du Dir das mal anschaust: Ich habe soeben einen neuen, supergeheimen Geheimdienstauftrag bekommen. Und ich muss ihn auch an Dich weiterleiten, weil Du ebenfalls zu den Ausführenden gehörst. Überraschung! Der Auftrag trägt den Decknamen: Operation Kino. Er muss Freitagabend ausgeführt werden und lautet wie folgt:
Agentin Lydia muss um Punkt sieben vor dem Kino in Castle Hill stehen.
Sie muss sich eine Eintrittskarte zu einem Film ihrer Wahl kaufen.
Agent Alias wird an der Süßwarentheke stehen und so tun, als kenne er Lydia nicht.
Agent Alias wird eine große Tüte Popcorn bestellen; in diesem Moment wird sich Lydia neben Agent Alias stellen und ihm heimlich die Eintrittskarte zeigen, die sie gekauft hat.
Beide Agenten werden ins Kino gehen und sich wie zufällig nebeneinandersetzen.
Beide Agenten werden geradeaus auf die Leinwand schauen, aber etwa nach der Hälfte des Films wird Agent Alias Agentin Lydias Hand nehmen und dreimal mit dem Daumen über ihre Handfläche streicheln.
Das ist das Zeichen für Agentin Lydia, die Popcorntüte umzustoßen, sodass beide Agenten sich nach vorne beugen und unter dem Vorwand, das Popcorn aufzusammeln, eine geheime, hastige, kurze Unterhaltung über ein beliebiges Thema führen können.
Also, bis Freitagabend dann. Pech für Mr T., falls er Dir wieder Kochunterricht geben will – die Welt braucht Dich. Du kannst Dich gerne bei mir melden, wenn Du Fragen zu dem Auftrag hast; ich werde sie dann zusammen mit dem Boss erörtern. Ist es nicht super, dass wir uns endlich doch mal unterhalten können? Auch wenn es nur ein geheimes, hastiges, kurzes Gespräch sein wird?
Bis
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