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Der Tag der zuckersueßen Rache

Der Tag der zuckersueßen Rache

Titel: Der Tag der zuckersueßen Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaclyn Moriarty
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so schlimm.« Dann schraubte sie den Deckel auf die Kakaodose und stellte sie in den Schrank. Ich stand da und starrte sie an und überlegte, was ich sagen könnte, um diesen Lügenhaufen zum Einsturz zu bringen, ohne sie dabei völlig zu vernichten. »Cass«, sagte ich, »du weißt, dass es keine Vorschriften dafür gibt, wie man trauern soll, oder?« »Aber ich hatte ein ganzes Jahr Zeit, mich darauf vorzubereiten«, wiederholte sie. »Ich meine, es war doch ziemlich offensichtlich, dass er sich diesmal nicht mehr erholen würde.« »Na ja, ich dachte jedenfalls, er würde sich erholen.« Mein Herz begann wie wild zu klopfen. Als hätte ich etwas gesagt, das zu hart war, um es tatsächlich auszusprechen. Aber es stimmte. Trotz aller medizinischer Fakten der Welt hatte ich nie gedacht, dass er tatsächlich stirbt. Wie konnte er einfach aufhören zu existieren? Cass lachte kurz auf und sagte mit normaler Stimme: »Ich auch.« Ich will jetzt nicht noch mehr Einzelheiten verraten, nur dass sie anfing zu weinen und noch mehr sagte und dass ich mich un glaublich anstrengen musste, nicht auch zu weinen, weil ich die Dinge, die in ihrem Kopf vor sich gingen, einfach nicht fassen konnte. Ich kann nur sagen, dass ich Paul Wilson am liebsten umbringen würde, ihm die Arme brechen oder mit den spitzesten Stilettos meiner Mutter seine nackten Füße zerquetschen. Er muss bestraft werden, Seb, und ich kann es kaum ertragen, wie machtlos ich bin. Ich meine, ich glaube ernsthaft, er hätte Cass umbringen können – wenn man so grausam ist zu jemandem, der sich so sehr darum bemüht, so zu tun, als sei er stark, dann kann man diesen Menschen leicht in einen Abgrund stürzen. Ganz schön langer Brief, was? Tut mir leid, Seb.
     
     
    Liebe Grüße
Lydia
    Liebe Lydia,

danke für Deinen Brief – ich habe fast den ganzen Nachmittag gebraucht, um ihn zu lesen, und dann musste ich ihn noch mal lesen, weil so viele wichtige Dinge darin vorkamen. Ich werde ihn bei meinem Lehrer abgeben, als Erklärung dafür, warum ich meine Französischhausaufgaben nicht machen konnte. War nur Spaß, Lyd. Ich würde Deine Briefe niemals meinem Lehrer geben. Sie sind viel zu kostbar. Ich würde niemals einem anderen Menschen auch nur ein einziges Wort davon zeigen. Es gibt da einige Punkte, auf die ich mich in diesem Brief konzentrieren möchte. Über den Rest sollten wir lieber persönlich sprechen, denn Du bist wunderschön, Lyd, und ich würde gerne helfen, wenn ich kann. Punkt Nummer 1 ist Paul Wilson. Kannst Du bitte nicht mehr so viel darüber schreiben, was für ein Schwein er ist? Ich spüre dann nämlich immer den Drang, ihn zu verprügeln, und muss die Fäuste ballen, um das zu verhindern. Dazu muss ich Dir was gestehen: Ich hatte in den letzten Jahren Probleme in der Schule. Das kam von meinem Bedürfnis, Leute zu verprügeln, die sich wie Schweine aufführten. Deshalb wäre ich am Anfang des Schuljahrs auch beinahe von der Schule geflogen, was meiner Mutter das Herz gebrochen hätte, und das wäre echt nicht gut gewesen, weil sie damals schon ziemlich schwanger war. Aber ich durfte auf Bewährung bleiben und seitdem lerne ich, meinen Jähzorn zu beherrschen, was ver dammt harte Arbeit ist. Außerdem habe ich mit Taekwondo angefangen. Das mag nach einem seltsamen Weg klingen, sich davon abzuhalten, Leute zu verprügeln, aber das Entscheidende beim Taekwondo ist eben, Leute NICHT zu verprügeln. Deshalb lerne ich es. Was Paul Wilson betrifft, weiß ich deshalb genau, was Du meinst, wenn Du sagst, Du würdest ihm gerne eine reinhauen. Du hast Glück, dass Du ein Mädchen bist und so was nicht tun kannst. Das muss eine ziemliche Erleichterung sein. Punkt Nummer 2 ist Dein Wunsch, Dir hätte in Deiner Vergan genheit etwas Schlimmes passieren sollen. Das wünschst Du Dir hoffentlich nicht wirklich, Lyd. Man wünscht niemandem etwas Schlimmes und sich selbst auch nicht. Wie die Mighty Mighty Bosstones singen: Tragödien sind immer schlimm. Also klopf lieber dreimal auf Holz. Oder so ähnlich, aber es bedeutet das Gleiche. Punkt Nummer 3 ist, wieso Leute so grausam sein können und eine andere Person dazu bringen, sich umzubringen. Ich habe mal von ein paar Mädchen in Kanada gehört, die ein anderes Mädchen so lange schikanierten, bis es sich umbrachte. Und ich finde, diese fiesen Zicken gehören bestraft, wegen Mordes verurteilt oder so. Du hast also recht damit, dass so etwas möglich ist. Die Schulleiterin hat mir davon erzählt, weil sie

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