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Der Tag der zuckersueßen Rache

Der Tag der zuckersueßen Rache

Titel: Der Tag der zuckersueßen Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaclyn Moriarty
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ich habe ihn sogar bewusstlos geschlagen. Nein, stimmt nicht – jetzt fällt’s mir wieder ein: Er hat sich fallen lassen. Ich hatte ihn kaum berührt, da warf er sich schon zu Boden und wand sich wie eine Schlange, passend zu seinem Cha rakter. Ich bekam zwei Wochen Nachsitzen aufgebrummt, nur
wegen seiner Schauspielkünste.
Ich hätte mich an diese Geschichte lieber nicht erinnern sollen,
weil ich schon wieder spüre, wie ich die Beherrschung verliere.
Dieser Mistkerl.
    Seb
     
     
    Lieber Seb,
ich habe gerade Kartoffeln für das Abendessen geschält. Sie sahen alle aus wie knackige weiße Kartoffeln, bis ich sie in der Mitte durchschnitt. Da hatte jede von ihnen einen fauligen grauen Kern. Wie ein grauer Kreis, der fast bis an die Kartoffelschale reichte. Da bin ich in mein Zimmer gegangen, um Dir zu schreiben. Weißt Du, wie ich mich fühle? Ich fühle mich, als wäre die ganze Welt schwarz, verfault und böse. Auch wenn sie von außen frisch und knackig aussieht, ist das nur eine Lüge, weil man sich auf nichts verlassen kann – innen drin ist alles verfault. Wie dieser Paul Wilson, der so tut, als sei er der brave Junge, damit ihn die Lehrer lieben. Und wie meine Mutter. Sie war früher mal Schauspielerin in einer Nachmittagsseifenoper, die niemand mehr kennt, und sie war fast berühmt und dachte, sie sei auf dem besten Weg nach Hollywood. Doch die Serie wurde abgesetzt, weil sie eh nichts taugte, und sie bekam nie wieder eine Rolle. Jetzt ist sie nur noch Miteigentümerin eines kleinen Filmproduktionsstudios, aber da geht sie fast nie hin. Dafür bekommt sie jeden Tag mehr Falten. Das Einzige, was ihr jetzt noch manchmal das Gefühl gibt, ein Star zu sein, ist, wenn sie gebeten wird, bei irgendwelchen Wohltätigkeitsshows im Fernsehen am Spendentelefon zu sitzen, und ein mal, vor ein paar Jahren, veröffentlichte die Zeitschrift Blick der Frau so eine blöde »Was ist bloß aus ihnen geworden«-Geschich te, für die sie im Kreise ihrer glücklichen Familie fotografiert wurde. Und Cass’ Vater – ich dachte immer, wenn die Leute keine Krebssymptome mehr hätten, seien sie geheilt. Aber so ist es nicht; es heißt nur, dass sie den Krebs für ein paar Jahre zurückgedrängt haben, doch er kommt auf jeden Fall wieder. Heute in der Pause war Em total durch den Wind, weil sie in Geschichte eine Fünf geschrieben hat. Und ich gebe es nur ungern zu, aber das hat mir ganz schön Angst eingejagt. Als sei die Dunkelheit kurz davor, uns alle drei zu verschlingen. Das ist nämlich meine größte Angst. Das habe ich Em natürlich nicht gesagt. Ich sagte ihr, dass sie in der nächsten Arbeit bestimmt die volle Punktzahl und eine Eins schafft. Aber wie lange kann man sich und den anderen etwas vorlügen? Insgeheim denke ich nämlich, dass ihre Noten niemals gut genug sein werden, um Jura zu studieren, obwohl das ihr großer Traum ist. Und Cass wird niemals Sängerin werden, auch wenn sie sich das wünscht, weil sie es niemals schaffen wird, vor Publikum zu singen. Und ich werde niemals, niemals eine Schriftstellerin werden, weil praktisch niemand es schafft, Schriftsteller zu werden, und überhaupt werde ich niemals einen Verlag finden und ich schaffe es ja nicht mal, die Romane fertigzuschreiben, die ich anfange. Du siehst, nichts Gutes wird je geschehen und jeder, der etwas anderes sagt, lügt. Ich kann mich an den Tag erinnern, als ich nach Hause kam und meinen Eltern erzählte, dass Mr Aganovics Krebs nun sein Gehirn erreicht hätte. Ich hoffte insgeheim, dass das nicht so wichtig sei und nur bedeutete, er müsse noch einmal eine Chemo machen.
    Aber Mum sagte: »Oh Lydia«, als hätte ich ihr soeben offenbart, beim Ladendiebstahl ertappt worden zu sein, und als wäre sie jetzt tief enttäuscht von mir. Dad stieß seinen Stuhl mit einem lauten Rums vom Tisch weg und marschierte aus dem Zimmer. Dad und Mr Aganovic waren ziemlich gut befreundet – sie waren oft zusammen segeln und Dad hat immer Stühle und Couchtische von Mr Aganovic gekauft. Ein echt fröhlicher Brief, was? Um Dich ein bisschen aufzuheitern. Ich muss wieder runter und nach ein paar unverfaulten Kartoffeln für das Abendessen suchen. Mum wundert sich bestimmt schon, wo ich bleibe.
    Liebe Grüße
Lydia
     
     
    Liebe Lydia,
die Welt ist kein dunkler Ort, kapiert? Da bin ich mir ziemlich si cher. Vielleicht ist es ja bei Euch in Turramurra dunkel, aber hier in den Penno Hills haben wir Fenster, die nach Norden zeigen, deshalb bekommen wir viel Sonne.

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