Der Tempel der vier Winde - 8
Vorhänge sich soeben öffneten.
Vier voneinander getrennte Trauben reich verzierter Lampen mit Zylindern aus geschliffenem Glas hingen an silbernen Ketten. Wegen des düsteren Dekors schafften es die vielen Lampen kaum, die Atmosphäre im Saal über eine gewisse bedrückende Stimmung hinaus aufzuhellen. Drei schwere, dunkle Tische ruhten auf dem schwarzen Marmorboden.
Vor einem dieser Tische standen die Andolier. Die sechs Schwestern waren rank und schlank und für Kahlan unmöglich auseinanderzuhalten. Ihr Haar hatten sie mit den Beeren des Hassetbusches, der in der Heimat der Andolier gedieh, leuchtend orange eingefärbt. Sie lebten weit entfernt und hatten eine lange Reise auf sich genommen, um nach Aydindril zu gelangen.
Mit ihren großen, runden Augen verfolgten sie, wie Kahlan auf sie zuging. Das orangefarbene Haar, zu Hunderten von kleinen Zöpfen geflochten, ließ die Frauen aussehen, als trügen sie Perücken aus Garn. In dieses garnartige Haar hineingeflochten waren kleine, glänzende Gegenstände – Knöpfe, Metallfetzen, Gold- und Silbermünzen, Glasscherben, Obsidiansplitter – alles, was sie ihrem Geschmack entsprechend für glänzend genug befunden hatten.
Alle sechs waren in schlichte, aber elegante Gewänder aus einem durchscheinenden, satinähnlichen Stoff gekleidet. Trotz allem, was Kahlan über die Andolier wußte – angeblich konnte bereits ein einfaches Gewitter sie winselnd und schutzsuchend unter einen Busch oder in ein Erdloch treiben –, strahlten sie eine gewisse Noblesse aus. Was auch verständlich war. Schließlich waren sie die Frauen des Legaten, des Führers der Andolier.
Der Legat selbst war kleiner als seine Frauen und erheblich älter. Sah man von seinen runden schwarzen Augen ab, wirkte er eher wie ein vornehmer, ein wenig zur Untersetztheit neigender Beamter. Über einem Kranz aus weißem Haar glänzte ein kahler Schädel. Der war mit irgendeinem Fett eingerieben worden, das ihm Glanz verleihen sollte.
Sein Gewand war denen seiner Frauen ähnlich, wenn auch aus einem goldenen Stoff, der mit Reihen glänzender, aufgenähter Objekte besetzt war. An jedem seiner Finger trug er wenigstens einen Ring. Von weitem ließen ihn all die glänzenden Gegenstände wohlhabend erscheinen. Aus der Nähe wirkte er eher wie ein verrückter Bettler, der sich durch einen Abfallhaufen gewühlt hatte, um wertlosen Tand daraus hervorzukramen, den normale Menschen weggeworfen hatten.
Die Augen des Legaten Rishi waren rot gerändert und wirkten übermüdet. Er trug ein idiotisches Grinsen im Gesicht und hielt sich nur schwankend aufrecht. Kahlan sah ihn nicht oft, aber so hatte sie ihn nicht in Erinnerung.
Die sechs Schwestern stellten sich in einer Reihe vor ihm auf. Stolz warfen sie sich in die Brust.
»Unser ist der Mond«, sagte eine der sechs.
»Unser ist der Mond«, erwiderte Kahlan die traditionelle Begrüßung unter Frauen. Ihre nachlassenden Bauchkrämpfe erinnerten sie daran, daß diese Formel mehr als eine Bedeutung hatte.
Die übrigen erwiderten den Gruß. Ihre Art, mit ihren großen schwarzen Augen zu blinzeln, bereitete Kahlan eine Gänsehaut. Nach der offiziellen Begrüßung teilten die sechs sich in zwei Dreiergruppen auf und traten zu beiden Seiten ihres Ehemannes zurück.
Der Legat hob eine Hand wie ein König, der eine Menschenmenge grüßt. Er grinste blödsinnig. Kahlan fand sein eigenartiges Betragen verwunderlich, war aber keineswegs sicher, ob es auch für einen Andolier seltsam war.
»Unser ist die Sonne«, nuschelte er.
»Unser ist die Sonne«, antwortete Kahlan, er jedoch ignorierte sie, als seine Aufmerksamkeit von etwas in ihrem Rücken abgelenkt wurde.
Kahlan drehte sich um und sah, wie Richard, das Gesicht glühend vor Wut, mit großen Schritten durch den Saal geeilt kam.
»Wie war das mit dem Mond?« fragte Richard, als er Kahlan erreicht hatte.
Sie ergriff seine Hand. »Richard«, warnte sie ihn, »das ist Legat Rishi mit seinen Frauen. Sie sind Andolier. Ich habe ihnen gerade ihren traditionellen Gruß entboten, das ist alles.«
Seine Gesichtszüge entspannten sich. »Oh, verstehe. Als sie etwas vom Mond erwähnten, dachte ich –«
Plötzlich wich das Blut aus Richards Gesicht.
»Andolier«, sagte er leise zu sich selbst. »Zauberer Ricker hat etwas mit den Andoliern angestellt…« Er schien sich in einem Wust aus Gedanken zu verlieren.
»Unser ist die Sonne«, meinte Legat Rishi, noch immer grinsend. »Den Frauen gehört der Mond. Ein Mann und
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