Der Tempel der vier Winde - 8
verraten.‹«
16. Kapitel
Kahlan fühlte, wie ihr die Tränen übers Gesicht liefen.
»Richard.« Sie unterdrückte ein Schluchzen. »Richard, du weißt, ich würde niemals … du glaubst doch nicht, ich könnte jemals … ich schwöre es, bei meinem Leben. Niemals würde ich … du mußt mir glauben…«
Er zog sie in seine Arme, als sie die Beherrschung verlor und einen angsterfüllten Klagelaut ausstieß.
»Richard«, schluchzte sie an seiner Brust, »ich würde dich nie verraten. Um nichts auf dieser Welt. Nicht einmal, um den ewigen Qualen in der Unterwelt durch die Hand des Hüters zu entgehen.«
»Das weiß ich. Natürlich weiß ich das. Und du weißt ebensogut wie ich, daß man eine Prophezeiung nicht wörtlich nehmen darf. Laß dich davon nicht quälen. Genau das will Jagang. Er weiß nicht einmal selbst, was sie bedeutet, er hat sie einfach dort hingeschrieben, weil die Worte klangen wie etwas, das er hören wollte.«
»Aber … ich…« Sie bekam ihre Tränen nicht unter Kontrolle.
»Pst.« Er hielt sie mit seinen großen Händen an sich gedrückt.
Dann brach sich das Entsetzen der vergangenen Nacht und der noch schlimmere Schrecken der Prophezeiung in einem unkontrollierbaren Weinanfall Bahn. Nie hatte sie angesichts einer Schlacht geweint, aber in der Geborgenheit seiner Arme verlor sie die Fassung. Sie wurde von einer Flut aus Tränen fortgespült, die nicht weniger reißend war als der reißende Sturzbach im Tunnel unter dem Palast.
»Kahlan, du darfst nicht daran glauben. Bitte.«
»Aber dort steht … ich werde…«
»So hör mir doch zu. Habe ich dir nicht gesagt, du sollst nicht dort hinabsteigen, um Marlin zu verhören? Habe ich dir nicht gesagt, ich würde es selbst tun, sobald ich zurück bin, weil es zu gefährlich sei. Ich wollte nicht, daß du dort unten hingehst.«
»Ja, aber ich hatte Angst um dich und wollte einfach –«
»Du hast es gegen meinen ausdrücklichen Wunsch getan. Welche Gründe du auch hattest, du tatest es gegen meinen Willen, habe ich nicht recht?« Sie nickte an seiner Brust. »Das könnte der Verrat aus der Prophezeiung sein. Du wurdest verwundet, warst voller Blut. Du hast mich verraten, und du hattest Blut an dir. Dein Blut.«
»Das, was ich getan habe, würde ich nicht als Verrat bezeichnen. Ich tat es für dich, weil ich dich liebe und weil ich Angst um dich hatte.«
»Verstehst du denn nicht? Die Worte einer Prophezeiung bedeuten nicht unbedingt das, was sie zu besagen scheinen. Im Palast der Propheten, in der Alten Welt, haben sowohl Warren als auch Nathan mich gewarnt, daß Prophezeiungen nicht so gedacht sind. Die Worte stehen nur in einem verborgenen Zusammenhang mit der Prophezeiung.«
»Aber ich begreife nicht, wie –«
»Ich versuche dir nur zu erklären, daß es so etwas Einfaches sein könnte. Man darf eine Prophezeiung nicht die Kontrolle über die eigenen Ängste gewinnen lassen. Tu das nicht.«
»Zedd hat etwas Ähnliches gesagt. Er meinte, es gebe Prophezeiungen über mich, die er mir nicht verraten wolle, weil man sich nicht auf die Worte verlassen könne. Er meinte, du hättest richtig gehandelt, die Worte einer Prophezeiung zu ignorieren. Aber dieser Fall liegt anders, Richard. Hier steht, daß ich dich verraten werde.«
»Ich sagte dir doch schon, vielleicht gibt es eine ganz einfache Erklärung.«
»Blitze sind nichts Einfaches. Wenn man von einem Blitz getroffen wird, dann ist das ein Symbol dafür, daß man getötet wird, wenn nicht sogar ein klarer Hinweis auf die Todesart. In der Prophezeiung heißt es, ich würde dich verraten und deswegen würdest du sterben.«
»Das glaube ich nicht. Ich liebe dich, Kahlan. Ich weiß, daß das unmöglich ist. Du würdest mich nicht verraten oder mir Schaden zufügen. Das würdest du nicht tun.«
Kahlan krallte sich in sein Hemd und schluchzte. »Deswegen schickte Shota Nadine. Damit du eine andere heiratest, weil sie weiß, daß ich dein Untergang wäre. Shota versucht dich zu retten – vor mir.«
»Das glaubte sie schon einmal, und dann stellte sich heraus, daß sie sich geirrt hatte. Erinnerst du dich noch? Hätte Shota ihren Willen bekommen, hätten wir Darken Rahl niemals Einhalt gebieten können. Er wäre jetzt unser aller Herrscher, wenn wir uns ihrer Auslegung der Zukunft gefügt hätten. Mit den Prophezeiungen verhält es sich nicht anders.« Richard faßte sie bei den Schultern und hielt sie auf Armeslänge von sich, damit er ihr in die Augen sehen konnte. »Liebst du
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