Der Tempelmord
blickte dem Mann ins Gesicht. Sie kannte ihn nicht. Sein Kopf war kahlgeschoren wie bei allen Priestern in dieser Stadt.
Die schwarze Schminke, mit der er seine Augenlider nachgezogen hatte, war durch den Regen verlaufen, so daß es aussah, als würde er schwarze Tränen weinen. Samu dachte an Buphagos und Thais. Sie waren mit schwarzen Tränen auf ihren Wangen gestorben, und ihr Tod würde ungesühnt bleiben.
Statt dem Priester zu antworten, nickte Samu nur kurz. Sie wollte allein sein ... Sich irgendwo in eine Decke hüllen und zu Isis beten, bis sie die Welt um sich herum vergaß.
»Chelbes, der Hohepriester des Eshmun, bittet Euch, ihn im Tempel zu besuchen.«
»Ich werde morgen kommen.« Samu wollte schon weitergehen, als der junge Mann sie an ihrem Umhang festhielt.
»Bitte, Herrin, es ist dringend. Ihr sollt sofort kommen. Es geht um einen Mann, der im Sterben liegt. Er will Euch noch einmal sehen.«
Samu mußte an Philippos denken. Sollte auch er ... Doch dann schüttelte sie den Kopf. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, daß ihm etwas geschehen war. Der Arzt hatte zwar ein außergewöhnliches Talent, sich in Schwierigkeiten zu bringen, doch sein Talent, ungeschoren aus Situationen wieder herauszukommen, die andere den Kopf gekostet hätten, war mindestens genauso groß.
Doch wenn er es nicht war, wer mochte sie dann an sein Totenlager gebeten haben?
24. KAPITEL
S amu hatte gedacht, sie würde Haß für Hophra empfinden, doch als sie ihn mehr tot als lebendig im Eshmun- Tempel liegen sah, waren nur noch Schmerz und Trauer in ihrem Herzen. So ein Ende hatte er nicht verdient! Warum mußte Hophra sterben, während der Mörder Archelaos weiterlebte? Die Götter waren nicht gerecht!
Samu dachte daran, wie sie vor vielen Jahren dem Krieger zum ersten Mal begegnet war. Es war während ihres ersten Sommers im Palast. Ptolemaios und sein Hofstaat waren zur Löwenjagd in die libysche Wüste geritten. Hophra hatte damals zu den Wachen im Lager gehört. Sie war Wasser holen gegangen, und er hatte sie begleitet. Auf dem Weg erzählte er ihr von seinen Vorstellungen über das Leben eines Kriegers, von Ehre und Treue .
Solange sie ihn gekannt hatte, hatte er seine Ideale niemals verraten. Er war schnell zum Offizier aufgestiegen, und der Pharao hatte den jungen, aufrichtigen Mann geschätzt. Und sie? Sie wußte nicht mehr, warum oder in was sie sich verliebt hatte. Ihr Herz begann einfach schneller zu schlagen, wenn er in ihrer Nähe war. Doch was war in den Jahren der Trennung aus ihm geworden? Ein kaltherziger Söldner? Seit er sie in dem Lagerhaus gestellt hatte, wußte sie nicht mehr, was sie von ihm halten sollte. Er hatte sie brutal niedergeschlagen, doch statt sie zu ermorden, was sein Auftrag gewesen wäre, hatte er sie zu Haritat gebracht und ihr sogar die Tontafeln, nach denen sie gesucht hatte, mitgegeben. Wozu das? Hatte er Angst gehabt, sie würde während des Aufstandes zu Tode kommen?
Der Krieger empfing sie mit einem matten Lächeln, als sie an sein Lager trat. »Es ist schön . dich zu . sehen, Samu.«
Die Priesterin spürte Tränen in ihren Augen. Er hatte sie belogen, seit sie nach Tyros gekommen war, ermahnte sie sich stumm.
»Ich möchte ... dich um ... Verzeihung ... bitten.« Hophras Atem ging nur noch flach. Er mußte um jedes Wort ringen, »Ich wollte . dich nicht . schlagen . zu gefährlich ... in der ... Stadt.«
Samu nickte und strich ihm das schweißverklebte Haar aus der Stirn. Seine Haut fühlte sich schrecklich kalt an. Ganz so, als habe Anubis ihn schon mit sich auf die Reise in das Reich des Osiris genommen.
»Ich habe ... den Pharao ... nicht verraten.«
Samu drückte ihm sanft die Hand. Was sollte sie dazu schon sagen. Offenbar war er bereits nicht mehr Herr seiner Sinne.
»Ich stehe . noch immer . in . seinem Dienst. Er wollte . den Aufstand. Er . hat mir über . Simon meine . Befehle geschickt. Ich . durfte mich . dir nicht offenbaren . « Keuchend hielt der Krieger inne. Seine Wunde hatte wieder zu bluten begonnen.
Samu brauchte einen Augenblick, bis sie den vollen Umfang seiner Behauptung begriffen hatte. Ob er sie belog? Auf dem Sterbebett? Und woher kannte er Simon und wußte, daß sie über den Judäer Kontakt nach Ephesos halten sollte?
»Warum sollte der Neue Osiris einen Aufstand in Tyros wollen? Welchen Nutzen hätte er davon?«
»Es sollte . so aussehen, . als habe Berenike . die Rebellion geplant. Gabinius hätte . dann einen . Grund gehabt
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