Der Teufel trägt Prada
Gekränktheit war nur halb gespielt.
Die erste Woche des neuen Jahres hatte sich recht gemächlich angelassen. Wir waren immer noch dabei, Weihnachtsgeschenke
auszupacken und zu katalogisieren. Erst heute Morgen hatte ich einen Karton mit einem Paar atemberaubender Stöckelschuhe geöffnet, die über und über mit funkelnden Swarovski-Kristallen besetzt waren. Selbst mussten wir allerdings keine Präsente mehr verschicken, und die Telefone blieben die meiste Zeit still, da viele Leute noch im Weihnachtsurlaub waren. Miranda wurde am Samstag aus Paris zurückerwartet, in der Redaktion aber erst am folgenden Montag. Emily war zuversichtlich, dass ich meinen Aufgaben gewachsen sein würde, und ich war es auch. Immer und immer wieder waren wir alles durchgegangen, was ich wissen musste, und ich hatte fast einen ganzen Block mit Notizen voll geschrieben. Jetzt warf ich einen Blick darauf. Hoffentlich würde ich mich auch wirklich an alles erinnern, wenn es demnächst ernst wurde. Kaffee: Nur von Starbucks, großer Milchkaffee, zwei Stücke Rohrzucker, zwei Servietten, ein Löffel. Frühstück: Mangia Lieferservice, Tel.: 555-3948, ein Stück Käseplunder, vier Scheiben Frühstücksspeck, zwei Würstchen. Tageszeitungen; Kiosk in der Lobby: New York Times, Daily News, New York Post, Financial Times, Washington Post, USA Today, Wall Street Journal, Women’s Wear Daily und mittwochs der New York Observer . Wochenzeitungen, zu kaufen montags: Time, Newsweek, U.S. News, New Yorker (!) , Time Out New York, Economist . Und so ging es seitenweise weiter: Blumen, die Miranda liebte, Blumen, die Miranda hasste; Namen, Adressen und Privatnummern ihrer Ärzte und ihrer Putzfrau; Mirandas Lieblingssnacks und ihr Lieblingsmineralwasser; sämtliche Größen sämtlicher Kleidungsstücke, angefangen bei Reizwäsche bis hin zu Skistiefeln. Ich hatte ganze Listen von Leuten, mit denen sie sprechen wollte (Immer) und mit denen sie nicht sprechen wollte (Nie) . Während Emily mich über Wochen immer tiefer in Mirandas Ticks, Tricks und Geheimnisse einweihte, schrieb ich fleißig alles mit, bis ich das Gefühl hatte, dass es nichts gab, was ich über Miranda Priestly nicht wusste – wenn man einmal von der Frage absah, warum
sie eigentlich so wichtig war, dass ich einen ganzen Block mit ihren Vorlieben und Abneigungen voll geschrieben hatte. Warum hatte diese Frau so viel Mühe und Aufmerksamkeit verdient? Das war und blieb das große Rätsel.
»Ja, er ist einfach umwerfend«, seufzte Emily, während sie sich verträumt die Telefonschnur um den Zeigefinger wickelte. »Ich glaube, das war das romantischste Wochenende meines Lebens.«
Ping! Sie haben Post bekommen! Super, eine E-Mail von Alex.
Hallo, Schatz, wie geht’s, wie steht’s? Bei uns ist wie immer die Hölle los. Weißt du noch, was ich dir erzählt habe? Dass Jeremiah die Mädchen mit einem Teppichmesser bedroht hat? Anscheinend hat er es tatsächlich ernst gemeint. Heute kam er nämlich wieder mit so einem Messer an. In der Pause hat er eine Mitschülerin in den Arm geschnitten und sie als Nutte beschimpft. Als Nutte! Der Schnitt war nicht tief, aber als die Pausenaufsicht von ihm wissen wollte, was er sich wohl dabei gedacht hätte, hat er gesagt, das hätte der Freund von seiner Mutter mit ihr auch gemacht. Der Junge ist sechs Jahre alt, Andy. Sechs! Jedenfalls hat der Direktor für heute Abend eine Krisensitzung anberaumt. Deshalb muss ich unsere Verabredung absagen. Es tut mir so Leid! Aber andererseits bin ich auch froh, dass überhaupt etwas getan wird – ich dachte schon, an dieser Schule lässt man solche Sachen einfach schleifen. Du verstehst doch, dass ich nicht kommen kann? Bitte, sei mir nicht böse. Ich rufe dich nachher noch an, und ich verspreche dir, dass ich es wieder gutmachen werde.
In Liebe, A.
Bitte, sei mir nicht böse? Du verstehst doch, dass ich nicht kommen kann? Ein Sechsjähriger hatte eine Mitschülerin mit dem Messer angegriffen, und er entschuldigte sich, dass er nicht mit mir ausgehen konnte? Nachdem ich unser letztes Essen abgesagt
hatte, weil ich mir einbildete, nach meinen anstrengenden Limousinenfahrten und dem stundenlangen Geschenkeeinpacken zu ausgepowert zu sein? Mir wären fast die Tränen gekommen. Am liebsten hätte ich ihn sofort angerufen und ihm gesagt, wie stolz ich auf ihn war, dass er sich so um seine Schützlinge kümmerte und dass er diese Stelle überhaupt angenommen hatte. Ich wollte gerade auf »Antworten« klicken, als
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