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Der Spion, der mich jagte - Green, S: Spion, der mich jagte - The Spy Who Haunted Me

Titel: Der Spion, der mich jagte - Green, S: Spion, der mich jagte - The Spy Who Haunted Me Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon R. Green
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Kapitel Eins
Das Jahrhundert-Verbrechen
 
    In den frühen Morgenstunden, wenn die Dunkelheit endlos zu dauern scheint und man gar nicht glauben kann, dass jemals ein neuer Tag aufziehen wird, kommen die Wesen der Nacht heraus, um zu spielen. Sie schwärmen durch die leeren Straßen Londons, ziehen lange, bunte Spuren hinter sich her und schwingen Champagnerflaschen. Sie tragen nur das Allerbeste; selbst wenn Flecken des Alkohols oder des letzten Menüs oder die unterschiedlichsten Arten von Staub darauf sind. Und sie sehen alle wie Filmstars oder Topmodels oder hohe Persönlichkeiten aus.
    Nur aus der Nähe sieht man ihre blutigen und abgelaufenen Füße, die gehetzten Augen und das verzweifelte Lächeln, und man hört den verlorenen, einsamen Unterton in ihrem Lachen. Für die Wesen der Nacht dauern die Partys ewig. Es gibt eben verschiedene Arten der Hölle.
    Ich hatte gerade die U-Bahn-Station am Leicester Square verlassen und ging gemütlich hinüber zum Covent Garden. Ich war in dieser Nacht nur Shaman Bond, der meine coole, einigermaßen harmlose Tarnidentität ist. Gut, aber lässig angezogen unterschied ich mich in nichts von hundert anderen Nachtschwärmern. Ich war geübt darin, nicht aufzufallen und in einer Menge verschwinden zu können. Ich habe ein Gesicht, an das sich zehn Minuten später schon keiner mehr erinnert. Ein Agentengesicht. Ich komme und gehe und tue, was ich tun muss. Keiner wird je davon erfahren, wenn ich meinen Job gut erledigt habe.
    Es war ein früher Morgen im späten September, es war angenehm, draußen auf der Straße unterwegs zu sein. Es war Vollmond, die Sterne waren zu sehen, und die Straßenlaternen leuchteten wie angelaufenes Gold. Lange, schwarze Stretchlimousinen brachten hochklassige Callgirls mit platinblondem Haar und künstlichem Lächeln zu teuren Stelldicheins in den besten Hotels. Kuriere in schwarzer Lederkluft fuhren auf PS-starken Motorrädern wichtige Informationen von einer Botschaft oder einem Unternehmen zum anderen. Und eine Bande knubblig aussehender Kobolde in der Uniform der Palastwachen von Westminster schnatterte und fluchte fröhlich, als sie ein paar tote Trolle aus einem offenen Gully-Schacht zogen und die entstellten Körper auf die Ladefläche eines wartenden Müllwagens warfen. In den Straßen Londons passiert nachts eine Menge, von dem die Londoner besser nichts wissen.
    Die Kobolde nickten mir leichthin zu, als ich vorbeikam, und ich lächelte genauso leichthin zurück. Die Wesen der Nacht erkennen einander immer. Kobolde führen notwendige Reparaturen durch, sorgen für die Beseitigung der verschiedenen Arten von nächtlichem Chaos und räumen mit äußerster Strenge mit dem Ungeziefer auf, das sich tief unter den Straßen von London herumtreibt: Trolle, Albino-Alligatoren, intelligente Rattenkolonien, die unmenschliche Brut von asozialen Alien-Gottheiten, sowas in der Art eben.
    Sie wären nicht in der Lage, das alles zu sehen, weil Sie nicht das Gesicht haben; die in der Praxis geübte Fähigkeit zu sehen, wie die Welt in ihrer ganzen furchtbaren Herrlichkeit ist. Selbst ich kann das nicht lange aushalten. Das Gesicht ist einer der Vorteile, ein Drood zu sein. Das hat mit dem Halsreif zu tun, den ich trage: ein Torques in der alten Sprache. Der Torques ist die geheime Waffe der Droods. Sie macht uns stark genug, um uns den Monstern und Dämonen gleichzustellen und sie in ihre ekelhaften Ärsche zu treten.
    Weiter die Straße herab hatten zwei flaschengrüne Reptiloide einen handgreiflichen Streit um die ungeformte Seele, die sie aus den zermatschten Resten eines totgefahrenen Tiers gerissen hatten. Ganz offenbar machten sie schwere Zeiten durch und nahmen Reißaus, als sie mich kommen sahen. Ich ließ sie in Ruhe. Eddie Drood hätte sich vielleicht verpflichtet gefühlt, etwas zu unternehmen, aber heute Nacht war ich nur Shaman Bond und wollte meine Tarnung nicht auffliegen lassen. Eine Tarnidentität ist für einen Feldagenten der Droods sehr wichtig. Ich habe Jahre damit verbracht, ein Leben und ein Gesicht aufzubauen, die man der Öffentlichkeit präsentieren kann. Droods kommen und gehen, aber niemand bekommt je unser wahres Gesicht zu sehen. Wir beschützen die Welt, aber wir sind nicht so dumm, Dankbarkeit zu erwarten.
    Ich bin nur Eddie Drood, wenn ich zu Hause bei meiner Familie bin. Oder wenn ich richtig in Aktion trete. Ansonsten bin ich Shaman Bond und kann wie Sie durch die Welt gehen. Droodsche Feldagenten sind zu neunundneunzig

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