Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Teufel von Mailand

Der Teufel von Mailand

Titel: Der Teufel von Mailand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
Vom Netzwerk:
Staatsbesuchs.
    Zwei Uniformierte stiegen aus, blickten zur Fassade herauf und gingen auf die Tür zu.
    Es klingelte. Sonia schrak zusammen, ging zur Gegensprechanlage und drückte auf. Sie öffnete die Tür und horchte ins Treppenhaus.
    Schritte, Klingeln, Stimmen. Allmählich verstummte das Weinen. Jetzt klingelte es an ihrer Wohnungstür.
    »Ja?« fragte sie durch die geschlossene Tür.
    »Polizei. Haben Sie angerufen?« Die Stimme klang grob und ungehalten.
    Sonia öffnete. Beide Polizisten waren jung. Beide trugen Gürtel voller Waffen und Polizeiutensilien, die sie zwangen, die Arme leicht abzuwinkeln. Der Blonde sah freundlicher aus als der Brünette. Aber es war der Brünette, der sprach.
    »Der Hund ist gestorben«, blaffte er, »und deshalb rufen Sie die Polizei?«
    »Ich wußte doch nicht, weshalb die Frau weinte.«
    »Und weshalb haben Sie nicht nachgeschaut?«
    »Ich hatte Angst.«
    »So, so, Angst.« Der Beamte schaute an Sonia vorbei in die Wohnung. »Sind Sie allein?«
    »Wieso?«
    »Ob Sie allein sind.«
    »Ja, warum?«
    Er gab keine Antwort, starrte sie nur an.
    »Ich dachte, die Frau wird geschlagen.« Weshalb verteidigte sie sich überhaupt?
    Der Blonde machte Anstalten zu gehen. Aber der andere war noch nicht fertig. »Nicht jede heulende Frau ist ein Fall von Gewalt gegen Frauen.«
    »Ich werde es mir merken.« Sonia legte die Hand auf die Türklinke und schob die Tür ein wenig zu.
    Der Polizist stellte einen Fuß gegen die Tür.
    »Komm, Karli«, sagte der Blonde.
    »Gleich. Haben Sie getrunken?«
    »Wollen Sie mich verhaften wegen Schlafens in angetrunkenem Zustand?«
    Der Freundliche verbiß sich ein Grinsen. Dem andern schoß das Blut in die Wangen. »Von solchen wie dir laß ich mich nicht verarschen. Von solchen wie dir schon gar nicht. Mit solchen wie dir bin ich noch immer fertig geworden. Noch immer.«
    »Komm, Karli.« Der blonde Polizist zupfte seinen Kollegen am Ärmel. Der blieb noch einen Augenblick stehen, unentschlossen, ob er eine wie die ungeschoren davonkommen lassen wollte. Plötzlich drehte er sich auf dem Absatz um und ging auf die Treppe zu.
    »Danke, daß Sie angerufen haben«, sagte der Blonde leise und folgte dem andern.
    Sonia verriegelte die Tür. Es gab im Haus, soviel sie wußte, nur einen Hund. Einen fetten, kurzatmigen Köter mit kahlen Stellen, der vielleicht einmal ein Spitz gewesen war. Er gehörte einer Frau aus dem Balkan. Sie wohnte mit ihrem Mann im zweiten Stock, war ziemlich hübsch und viel zu jung für einen solchen Altweiberhund. Wer hätte geahnt, wie sehr sie an dem Tier hing.
    Sonia kamen wieder die Tränen. Sie ging ins Bett und versuchte, sich in den Schlaf zu weinen.
    Aber die Bilder mit Frédéric schoben sich wieder auf die Projektionsfläche vor ihrem Gesicht. Sie stand auf, ging ins Bad und spülte ein Rohypnol mit einem Zahnglas Hahnenwasser herunter.
    Sie schlief bis zum nächsten Mittag. Tief und ohne Bilder.
    Sonia trug ihren Puma Tracksuit aus der Zeit, als sie dreimal die Woche joggen wollte. Pavarotti schimpfte gegen den Lärm des Staubsaugers an. Im Korridor lagen zwei Berge Wäsche. Der eine für die chemische Reinigung, der andere für die Waschmaschine. Schon dreimal war sie in der Waschküche gewesen, jedesmal waren beide Waschmaschinen belegt gewesen.
    Sie trug Latexhandschuhe wie eine Chirurgin und ein Kopftuch wie eine Putzfrau in einem Film aus den sechziger Jahren. Sie ließ die Fugendüse langsam über die Stelle gleiten, wo die Fußleiste auf den Teppichboden traf. Jeden Krümel und jedes Stäubchen, das sich in den paar Monaten angesammelt hatte, seit sie diesen spießigen sandfarbenen Spannteppich verlegt und diese trostlose Fußleiste aus Kunstholz angebracht hatte, wollte sie aufsaugen und zuunterst in dem Müllcontainer im Hof versenken.
    Über eine halbe Stunde widmete sie dem Teppichboden von knapp zwölf Quadratmetern. Dann schaltete sie den Staubsauger aus und trug den Wäschekorb in den Keller.
    In der Waschküche brannte Licht. Eine Frau kauerte vor einer der Waschmaschinen und schaufelte eine Trommel Wäsche in einen türkisfarbenen Plastikkorb. Ihr kurzes Top war hochgerutscht, und über die nackte Stelle zwischen Hose und Oberteil verliefen zwei diagonale blaue Striemen.
    Sie rappelte sich hoch, sah sich um und fuhr zusammen. Es war die Frau aus dem zweiten Stock. Man sah ihr immer noch an, daß sie geweint hatte.
    »Tut mir leid wegen dem Hund«, sagte Sonia.
    »War schon alt.« Sie nahm den Wäschekorb.

Weitere Kostenlose Bücher