Der Thron der roten Königin
Essen bettelt, befohlen zu warten, denn die kleine Lady Margaret wünscht ihn zweifelsohne zu sehen. Ich frage sie immer, ob sie in Les Augustins, Les Tourelles, Orléans, in Jargeau, Beaugency, Patay oder Paris waren. Ich kenne die Orte ihrer Siege, so wie ich die Namen der benachbarten Dörfer in Bedfordshire kenne. Manche Soldaten waren bei diesen Schlachten dabei; einige haben Johanna sogar gesehen. Sie berichten alle von einem schlanken Mädchen auf einem großen Pferd, ein Banner über dem Haupt, das immer dort zu sehen war, wo der Kampf am wildesten tobte, ein Mädchen wie ein Prinz, das schwor, seinem Land Frieden und Sieg zu bringen, und das sich in den Dienst Gottes stellte. Bloß ein Mädchen, ein Mädchen wie ich: aber eine Heldin.
***
Beim Frühstück am nächsten Morgen erfahre ich, warum mir untersagt wurde, die Nacht hindurch zu beten. Meine Mutter sagt mir, ich müsse mich auf eine Reise vorbereiten, auf eine lange Reise. «Wir gehen nach London», sagt sie ruhig. «An den Hof.»
Der Gedanke an eine Reise nach London begeistert mich, aber ich hüte mich, wie ein eitles, stolzes Mädchen zu jauchzen. Vielmehr senke ich den Kopf und flüstere: «Wie du wünschst, Frau Mutter.» Dies ist das Beste, was mir passieren konnte. Unser Haus in Bletsoe, im Herzen der Grafschaft Bedfordshire, ist so ruhig und langweilig, dass ich gar keine Gelegenheit bekomme, den Gefahren der Welt zu trotzen. Hier gibt es keine Versuchungen, denen ich widerstehen könnte. Hier sieht mich niemand außer den Dienern und meinen älteren Halbbrüdern und Halbschwestern, die mich alle für ein unbedeutendes, kleines Mädchen halten. Ich versuche an Johanna zu denken, die die Schafe ihres Vaters in Domrémy gehütet hat, die wie ich inmitten von unendlichen matschigen Feldern begraben war. Sie hat sich nicht über die Langeweile auf dem Land beschwert; sie hat auf die Stimmen gewartet, die sie aufgefordert haben, Großes zu tun. Das muss ich auch tun.
Ich frage mich, ob das Geheiß, nach London zu gehen, die Stimme ist, auf die ich gewartet habe und die mich nun zu Großem aufruft. Wir gehen an den Hof des guten Königs Henry VI . Sicherlich wird er mich als seine nächste Verwandte willkommen heißen, denn schließlich bin ich seine Cousine zweiten Grades. Sein Großvater und mein Großvater waren Halbbrüder, und dies ist eine sehr enge Verbindung, wenn einer von beiden König ist und der andere nicht. Und erst recht, wenn der eine ein Gesetz verabschiedet hat, nach dem meine Familie, die Beauforts, als rechtmäßig anerkannt werden, wenn auch nicht von königlichem Geblüt. Bestimmt wird er in mir das heilige Licht sehen, von dem alle sagen, es leuchte in ihm. Gewiss wird er mich als Verwandte und als Seelenverwandte ansehen. Was, wenn er beschließt, dass ich bei ihm am Hof bleiben soll? Warum nicht? Was, wenn er mich zu seiner Ratgeberin macht wie der Dauphin Johanna von Orléans? Ich bin seine Cousine zweiten Grades, und es fehlt nicht mehr viel, und ich habe Visionen von Heiligen. Ich bin zwar erst neun, aber ich höre die Stimmen der Engel, und wenn sie mich lassen, bete ich die ganze Nacht. Wenn ich als Junge zur Welt gekommen wäre, dann wäre ich jetzt fast der Prince of Wales. Manchmal frage ich mich, ob sie sich wünschen, ich wäre als Junge zur Welt gekommen, und deswegen blind sind für das Licht, das in mir leuchtet. Könnte es sein, dass sie so sehr von der Sünde des Stolzes ergriffen sind, dass sie sich wünschen, ich wäre ein Junge? Dass sie meine Größe missachten – die Größe eines heiligen Mädchens?
«Ja, Frau Mutter», sage ich gehorsam.
«Du klingst nicht besonders begeistert», sagt sie. «Willst du denn gar nicht wissen, warum wir fahren?»
Unbedingt. «Ja, wenn es dir genehm ist.»
«Es tut mir leid, dir mitteilen zu müssen, dass deine Verlobung mit John de la Pole aufgelöst werden muss. Als die Verbindung eingegangen wurde und du sechs Jahre alt warst, war er eine gute Partie, doch nun wirst du dich von ihm lösen. Du wirst einem richterlichen Gremium vorgeführt, das dich fragen wird, ob du das Verlöbnis beenden möchtest, und du wirst ja sagen. Hast du mich verstanden?»
Das klingt beängstigend. «Aber ich werde nicht wissen, was ich sagen soll.»
«Du wirst einfach nur dem Ende der Verlobung zustimmen. Du wirst einfach nur ja sagen.»
«Was, wenn sie mich fragen, ob ich glaube, dass dies Gottes Wille ist? Was, wenn sie mich fragen, ob dies die Antwort auf meine Gebete
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