Der Thron der roten Königin
falls sie kein Kind bekäme, müsse ein anderer Junge zum Erben des Hauses Lancaster bestimmt werden, und das könne sehr wohl mein Sohn sein. Bestimmt würde sie mir dann mehr Aufmerksamkeit schenken. Aber sie ist weltlich. Die Franzosen können schrecklich weltlich sein; das ist mir schon bei meiner Lektüre aufgefallen. Sie hätte gewiss nicht einmal das Licht der Jungfrau von Orléans bemerkt. Ich bin nicht überrascht, dass sie mich nicht bewundert.
Neben ihr steht eine unglaublich schöne Frau, vielleicht die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Sie trägt ein blaues, silbern durchwirktes Gewand, das wie Wasser schimmert. Man könnte meinen, sie sei geschuppt wie ein Fisch. Als sie bemerkt, wie ich sie anstarre, schenkt sie mir ein Lächeln, und dabei leuchtet ihr Gesicht warm vor Schönheit – wie Sonnenschein auf einer Wasseroberfläche an einem Sommertag.
«Wer ist das?», frage ich meine Mutter flüsternd, die mich in den Arm zwickt, damit ich still bin.
«Jacquetta Rivers. Hör auf, sie so anzustarren», blafft sie mich an und zwickt mich noch einmal in den Arm, um mich in die Gegenwart zurückzuholen. Ich sinke in einen tiefen Knicks und lächele den König an.
«Ich übergebe deine Tochter in die Vormundschaft meiner geliebten Halbbrüder, Edmund und Jasper Tudor», sagt der König zu meiner Mutter. «Sie kann bei dir leben, bis die Zeit für ihre Verehelichung gekommen ist.»
Die Königin flüstert Jacquetta etwas zu, und sie beugt sich zu ihr hinunter wie eine Weide am Fluss. Der Schleier ihres hohen Kopfschmuckes bauscht sich auf. Die Königin wirkt ob dieser Nachricht nicht sehr erfreut, und ich bin sprachlos. Ich warte darauf, dass mich jemand um meine Einwilligung bittet, damit ich erklären kann, dass ich für ein Leben der Heiligkeit bestimmt bin, aber meine Mutter knickst nur und tritt zurück. Ein anderer tritt vor, und alles ist vorbei. Der König hat mich kaum angesehen; er weiß nichts über mich – nicht mehr, als er wusste, bevor ich den Raum betreten habe, und doch hat er mich einem neuen Vormund übergeben, einem Fremden obendrein. Wie kann es sein, dass er nicht bemerkt, dass ich – wie er – ein Kind von besonderer Heiligkeit bin? Bekomme ich keine Gelegenheit, ihm zu sagen, dass ich die Knie einer Heiligen habe?
«Darf ich etwas sagen?», flüstere ich meiner Mutter zu.
«Nein, natürlich nicht.»
Wie soll er wissen, wer ich bin, wenn Gott sich nicht beeilt und es ihm sagt? «Und was geschieht nun?»
«Wir warten, bis der König die anderen Bittsteller vorgelassen hat, dann speisen wir», antwortet sie.
«Nein, ich meine, was geschieht mit mir?»
Sie sieht mich an, als sei ich dumm und verstünde nichts. «Du gehst eine neue Verlobung ein», sagt sie. «Hast du denn nicht zugehört, Margaret? Ich wünschte, du wärest aufmerksamer. Das ist eine noch bessere Partie für dich. Erst wirst du Mündel und dann Gemahlin von Edmund Tudor, dem Halbbruder des Königs. Die beiden Tudors sind die Söhne von Katharina von Valois, der Mutter des Königs, aus ihrer zweiten Ehe mit Owen Tudor. Die Brüder Edmund und Jasper sind Lieblinge des Königs. Sie sind zur Hälfte von königlichem Geblüt und stehen hoch in seiner Gunst. Du heiratest den Älteren.»
«Wird er mich denn nicht erst kennenlernen wollen?»
«Warum sollte er?»
«Um zu sehen, ob er mich mag?»
Sie schüttelt den Kopf. «Sie wollen nicht dich», sagt sie. «Sie wollen den Sohn, den du gebären wirst.»
«Aber ich bin erst neun.»
«Er kann warten, bis du zwölf bist», gibt sie zurück.
«Werde ich dann verheiratet?»
«Natürlich», erwidert sie, als sei ich eine Närrin, auch nur zu fragen.
«Und wie alt ist er dann?»
Sie überlegt kurz. «Fünfundzwanzig.»
Ich blinzele. «Und wo soll er schlafen?», möchte ich wissen. Ich denke an das Haus in Bletsoe, das keine Zimmerflucht für einen jungen Hünen und seine Entourage hat, geschweige denn für seinen jüngeren Bruder.
Sie lacht. «Oh, Margaret. Du bleibst doch nicht zu Hause bei mir. Du wirst bei ihm und seinem Bruder in Wales leben, in Lamphey Palace.»
Ich blinzele. «Frau Mutter, du schickst mich weg, um alleine bei zwei erwachsenen Männern in Wales zu leben? Wenn ich zwölf bin?»
Sie zuckt die Achseln, als tue es ihr leid, aber als könne man nichts dagegen tun. «Eine gute Partie», sagt sie. «Königliches Blut auf beiden Seiten. Wenn du einen Sohn bekommst, hat er einen sehr starken Thronanspruch. Du bist eine enge Verwandte des
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