Der Thron der Welt
mit einer flotten Kokarde geschmückt war. Es war am Abend zuvor nicht die Angst gewesen, die ihm die Augen hatte aus dem Kopf treten lassen. Die Natur hatte ihm einen Ausdruck immerwährenden Staunens verliehen, dazu eine Nase wie ein Stachel und die Lippen eines Mädchens.
«Ich dachte, du wärst fort.»
«Was? Meinen Meister verlassen, wenn er noch nicht zur Ruhe gebettet ist?»
Eine Beerdigung war in diesem felsigen Grund unmöglich. Sie legten ihn in eine Steinfurche, die nach Süden ausgerichtet war, und häuften Steine auf ihn. Der Sizilianer pflanzte ein behelfsmäßiges Kreuz auf den Steinhaufen. Nach dem Gebet ließ er seinen Blick über die Gipfel und Gletscher schweifen.
«Er wollte dort beerdigt werden, wo er stirbt, aber es ist bitter, dass ein Mann, der die Pracht so vieler Kulturen bezeugt hat, in dieser Wildnis ruhen muss.»
Ein hungriger Geier schwebte über die Abhänge. Von fernen Weiden klangen Kuhglocken herauf.
Vallon erhob sich von den Knien. «Er hat sich sein Grab gut ausgesucht. Nun liegt ihm die ganze Welt zu Füßen.» Er stieg auf das Maultier und lenkte es Richtung Tal. «Meinen Dank für das Essen.»
«Wartet!»
Hohe Schneeverwehungen lagen auf Vallons Weg. Es war, als müsste er durch eisigen Haferschleim waten. Aber die Gebirgsausläufer vor ihm schimmerten unter Hitzeschlieren. Zur Mittagszeit würde er über weiche, grüne Hänge reiten. Und abends würde er dampfendes Fleisch essen und tiefroten Wein dazu trinken.
«Herr, ich bitte Euch.»
«Dein Weg führt bergauf. Du gehst besser los, wenn du vorm Dunkelwerden über den Pass sein willst.»
Keuchend lief ihm der Sizilianer nach. «Seid Ihr denn gar nicht neugierig, welches Abenteuer uns auf diesen Weg verschlagen hat?»
«Auf einsamen Pfaden ist es nicht klug, sich Fremden anzuvertrauen.»
«Ich war nur drei Wochen mit meinem Meister zusammen. Aber seine Reise hat schon zwei Monate zuvor begonnen, in Manzikert.»
Das brachte Vallon dazu anzuhalten. Zum ersten Mal hatte er in einem Gasthaus an der Rhone von Manzikert gehört. Seitdem war ihm die Geschichte bei jeder Rast wiederbegegnet, und jedes Mal waren die Erzählungen noch bunter geworden. Die meisten Berichte stimmten darin überein, dass der Kaiser von Byzanz im Spätsommer bei einem Ort namens Manzikert in Ostanatolien von einem muslimischen Heer besiegt worden war. Einige Reisende behaupteten, Kaiser Romanus sei gefangen genommen worden. Andere wiederum, er sei tot oder für abgesetzt erklärt, die Pilgerstraße nach Jerusalem sei geschlossen und die Muslime hätten ihr Heerlager vor den Toren Konstantinopels aufgeschlagen. Am beunruhigendsten war, dass diese Eindringlinge keine Araber waren, sondern ein turkmenisches Nomadenvolk, das von Osten herangeschwärmt war, wie vor einem Menschenalter die Heuschreckenplage. Seldschuken nannten sie sich – halb Mann, halb Pferd, und ihr Getränk war Blut.
«Ist dein Meister in der Armee des Kaisers mitgezogen?»
«Als Berater und Kenner der türkischen Lebensart. Er hat die Schlacht überlebt und bei den Lösegeldverhandlungen für die byzantinischen Adligen und ihre Verbündeten geholfen. Als darüber Einigung erreicht war, kehrte er nach Konstantinopel zurück, bestieg ein Schiff nach Italien und kreuzte zum Kloster Monte Cassino herüber. Einer seiner ältesten Freunde ist dort Mönch – Konstantin von Afrika.» Der Sizilianer starrte ihn mit seinen Glotzaugen erwartungsvoll an.
Vallon schüttelte den Kopf.
«Der brillanteste Medikus der Christenheit. Vor seinem Eintritt ins Kloster hat er in Salerno an der medizinischen Fakultät gelehrt. Wo», erklärte der Sizilianer mit einem stolzen Grinsen, «ich Student bin. Als Cosmas ihm den Grund seiner Reise erklärte, wählte Konstantin mich aus, um ihn als Sekretär und Reisegefährte zu begleiten.»
Vallon musste unbewusst die Augenbrauen hochgezogen haben.
«Herr, ich schwöre, ich bin Arzt. Außerdem beherrsche ich die alten Sprachen und kann Arabisch. Mein Französisch ist hinlänglich, da mögt Ihr mir zustimmen. Ich bin auch in Geometrie und Algebra bewandert und vermag die astronomischen Theorien von Ptolemäus, Hipparchos und Alhazen darzulegen. Kurz gesagt, Konstantin hielt mich für ausreichend befähigt, mich um die körperlichen Bedürfnisse meines Meisters zu kümmern und zugleich seinen scharfen Verstand nicht zu beleidigen.»
«Das muss», sagte Vallon, «ja eine außerordentlich wichtige Mission sein.»
Der Sizilianer beförderte ein in
Weitere Kostenlose Bücher