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Der Tierarzt kommt

Der Tierarzt kommt

Titel: Der Tierarzt kommt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Jacke, den Stiefeln und der offensichtlich von den Brüdern vererbten Kleidungen der Jungen.
    Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.
    Helen sagte es für mich. »Nun, Mr. Gibbons.« Sie klang unnatürlich heiter. »Dann nehmen Sie ihn am besten gleich mit.«
    Der Mann zögerte. »Sind Sie wirklich sicher, Mrs. Herriot?«
    »Ja... ja... ich bin sicher. Es ist ja Ihr Kater.«
    »Ja, aber Sie haben ihn doch gefunden. Ich bin ja nicht gekommen, um ihn zurückzuverlangen. Dazu hab ich doch kein Recht.«
    »Das weiß ich, Mr. Gibbons, aber Sie haben ihn all die Jahre gehabt und so lange nach ihm gesucht. Wir können ihn Ihnen doch nicht wegnehmen.«
    Er nickte rasch. »Das ist sehr nett von Ihnen.« Er wartete eine Weile mit ernstem Gesicht, dann bückte er sich und nahm Oscar auf den Arm. »Jetzt müssen wir aber gehen, wenn wir noch den Acht-Uhr-Bus kriegen wollen.«
    Helen streichelte den Kater noch einmal. Dann wandte sie sich an die Jungen. »Ihr gebt gut auf ihn acht, nicht wahr?«
    »Ja, Mrs. Herriot, machen wir.« Die beiden strahlten.
    »Ich bringe Sie hinunter, Mr. Gibbons«, sagte ich.
    Ich hatte damals die Angewohnheit, beim Treppensteigen zwei oder drei Stufen auf einmal zu nehmen, aber als ich wieder hinaufging, tat ich es langsam, mit zugeschnürter Kehle. Ich verfluchte mich für meine alberne Sentimentalität, aber als ich oben ankam, fand ich wenigstens einen Trost. Helen hatte es bemerkenswert gut aufgenommen. Sie hatte sehr an der Katze gehangen, und ich hätte angenommen, daß es sie schrecklich mitnehmen würde. Aber nein, sie hatte sich ruhig und vernünftig benommen. Bei Frauen weiß man ja nie, aber ich war froh.
    Jetzt war es an mir, mich beherrscht zu zeigen. Ich zwang mich zu einem heiteren Lächeln und trat ins Zimmer.
    Helen saß über den Tisch gebeugt. Sie zitterte am ganzen Körper und schluchzte fassungslos.
    So hatte ich sie noch nie gesehen, und ich war entsetzt! Ich versuchte, etwas Tröstliches zu sagen, aber sie weinte weiter. Hilflos setzte ich mich neben sie und streichelte ihren Kopf. Vielleicht hätte ich doch etwas sagen können, aber ich fühlte mich ebenso elend wie sie.
     
    Nach einer Weile kommt man über so etwas hinweg. Schließlich, so sagten wir uns, war Oscar ja nicht gestorben – er war bei guten Menschen, die für ihn sorgten.
    Und natürlich hatten wir immer noch unseren geliebten Sam, obgleich auch er in der ersten Zeit stets traurig an der Stelle schnüffelte, wo Oscars Bett gestanden hatte, und dann mit einem trübseligen Seufzer auf den Teppich sank.
    Und dann hatte ich eine Idee. Es war einen Monat nach dem traurigen Abend, als wir in Brawton aus dem Kino kamen. Ich schaute auf die Uhr.
    »Es ist erst acht«, sagte ich. »Wie wär’s, wenn wir Oscar besuchten?«
    Helen blickte mich überrascht an. »Du willst nach Wederly fahren?«
    »Ja, es sind ja nur fünf Meilen.«
    Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Das wäre wunderbar. Aber meinst du, es würde ihnen was ausmachen?«
    »Den Gibbons? Nein, bestimmt nicht. Fahren wir los.«
    Wederly war ein großes Dorf, und das Haus des Pflugführers lag ganz unten, ein paar Meter hinter der Methodistenkirche.
    Eine geschäftig aussehende kleine Frau antwortete auf mein Klopfen. Sie trocknete sich die Hände an einem gestreiften Handtuch ab.
    »Mrs. Gibbons?« sagte ich.
    »Ja, das bin ich.«
    »Ich bin James Herriot – und das ist meine Frau.«
    Sie sah uns verständnislos an. Der Name schien ihr nichts zu sagen.
    »Wir hatten Ihre Katze bei uns«, fügte ich hinzu.
    Plötzlich grinste sie und winkte uns mit dem Handtuch zu. »Ach ja, jetzt erinnere ich mich. Sep hat mir von Ihnen erzählt. Kommen Sie herein.«
    Die Wohnküche gab ein genaues Bild des Lebens mit sechs Kindern bei dreißig Shilling in der Woche. Wackliges Mobiliar, geflickte und gestopfte Wäsche an der Wäscheleine, schwarzes Kochgeschirr und eine heillose Unordnung.
    Sep stand von seinem Stuhl am Feuer auf, legte seine Zeitung und seine Drahtbrille weg und schüttelte uns die Hände.
    »Das ist aber nett, daß Sie gekommen sind. Ich hab meiner Frau oft von Ihnen erzählt.«
    Seine Frau hängte das Handtuch auf. »Ja, und ich freue mich, Sie beide kennenzulernen. Ich mach schnell mal Tee.«
    Lachend schleppte sie einen Eimer mit schmutzigem Wasser in eine Ecke. »Hab gerade die Fußballtrikots gewaschen. Heute abend haben die Jungs sie mir gegeben – als ob ich nicht schon sonst genug zu tun hätte.«
    Als sie das Wasser in den Teekessel laufen

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