Der Tierarzt kommt
ließ, blickte ich mich um. Aber nirgends war eine Katze zu sehen. Er war doch nicht etwa wieder davongelaufen?
Erst als der Tee eingegossen war, traute ich mich, das Thema anzuschneiden.
Wie ganz nebenbei sagte ich: »Und wie geht es Tiger?«
»Ach, wunderbar«, erwiderte die Frau. Sie sah auf die Wanduhr. »Er sollte jeden Augenblick zurück sein, dann können Sie ihn sehen.«
Sep hob den Zeigefinger. »Ich glaube, ich höre ihn.«
Er stand auf, öffnete die Tür, und unser Oscar stolzierte majestätisch herein. Mit einem Blick hatte er Helen erkannt und sprang ihr auf den Schoß.
»Er kennt mich«, flüsterte sie. »Er kennt mich.«
Sep nickte lächelnd. »Klar. Sie waren gut zu ihm. Er wird Sie nie vergessen, und wir auch nicht, nicht wahr, Mutter?«
»Nein, Mrs. Herriot«, sagte seine Frau und bestrich eine Scheibe Lebkuchen mit Butter. »Sie waren wirklich sehr gut zu ihm, und ich hoffe, Sie besuchen uns noch oft, wenn Sie in der Nähe sind.«
»Vielen Dank«, sagte ich. »Mit Vergnügen – wir kommen oft nach Brawton.«
Ich kraulte Oscars Kinn, und dann wandte ich mich wieder an Mrs. Gibbons. »Übrigens, es ist schon nach neun. Wo war er denn bis jetzt?«
Sie legte das Buttermesser hin und dachte nach.
»Warten Sie mal«, sagte sie. »Es ist doch Donnerstag, nicht wahr? Ach, jetzt weiß ich’s. Heute abend war der Yogakurs.«
20
Wenn ich heute auf die dreißiger Jahre in Darrowby zurückblicke, muß ich feststellen, daß die Farmer von Yorkshire damals in allem, was mit Sexualität und deren natürlichen Funktionen zu tun hatte, von einer unbegreiflichen Prüderie waren. Derartige Dinge durften nicht einmal erwähnt werden.
Das machte mir die Arbeit schwer, denn wenn das Leiden eines Tieres in irgendeinem Zusammenhang mit seinen Geschlechtsteilen stand, so weigerte sich der Besitzer, Helen oder unserer Sekretärin Mrs. Harbottle gegenüber am Telefon auch nur die geringsten Einzelheiten anzugeben. »Der Tierarzt soll mal rüberkommen und sich eine Kuh ansehen.« Weiter ging es nicht.
So war es auch heute wieder gewesen, und ich blickte Mr. Hopps gereizt an.
»Warum haben Sie nicht gesagt, daß bei Ihrer Kuh die Deckperiode ausgesetzt hat? Dafür gibt es jetzt eine neue Injektion, aber ich habe sie nicht mitgebracht. Ich kann schließlich nicht alles mitschleppen.«
Der Farmer blickte verlegen zu Boden. »Ach, da war eine Dame am Telefon, und der konnte ich doch nicht sagen, daß Snowdrop nicht zum Bullen gehen kann.« Er blickte mich betreten an. »Können Sie da sonst nichts machen?«
Ich seufzte. »Vielleicht. Holen Sie mir einen Eimer heißes Wasser und Seife.«
Als ich mir den Arm einrieb, fühlte ich mich enttäuscht. Ich hätte zu gern diese neue Prolaninjektion ausprobiert. Aber andererseits waren Rektaluntersuchungen manchmal auch recht interessant.
»Halten Sie ihr bitte den Schwanz hoch«, sagte ich und führte meine Hand behutsam in das Rektum ein.
Heute tun wir das oft. Man hat plötzlich festgestellt, daß die Unfruchtbarkeit bei Rindern keine geheimnisvolle Angelegenheit ist. Deshalb führten wir gerne derartige Untersuchungen durch, und sie erwiesen sich oft als äußerst aufschlußreich.
Siegfried erklärte es eines Morgens mit seiner gewohnten Offenheit.
»James«, sagte er, »im Arsch einer Kuh ist mehr zu lernen als in mancher Enzyklopädie.«
Und jetzt verstand ich, was er meinte. Ich faßte den Gebärmutterhals und tastete mich an der rechten Wand entlang. Es fühlte sich ganz normal an, sowie auch der Eileiter. Dann hatte ich die Eierstöcke in den Fingern, und da fühlte ich eine walnußgroße Geschwulst, und ich lächelte zufrieden in mich hinein. Diese Geschwulst war der Corpus Luteum, der über dem Eierstock lag und den normalen Zyklus behinderte.
Ich drückte sanft und fühlte gleich darauf, wie die Geschwulst vom Eierstock wegschwamm. Damit hatte es sich, und ich sah den Farmer beglückt an.
»Ich glaube, das wär’s, Mr. Hopps. In ein bis zwei Tagen sollte sie soweit sein, und dann können Sie sie gleich decken lassen.«
Ich zog den Arm heraus und wusch ihn im warmen Wasser. Er war bis zur Schulter mit Kot beschmiert. Das ist gewöhnlich der Augenblick, wenn die Farmersöhne ihren Traum, Tierarzt zu werden, aufgeben und lieber Anwälte werden wollen. Oft kamen junge Leute mit mir in den Stall, um mir bei der Arbeit zuzuschauen, und ich fand es nur gut, daß sie so früh wie möglich mit der harten Wirklichkeit dieses Berufs konfrontiert
Weitere Kostenlose Bücher