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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Niedlich
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keine Seele haben, oder wir können mein Äquivalent aus der Tierwelt einfach nicht sehen. Nimm die Erklärung, die dir besser gefällt.“
    Anja ging plötzlich durch die Reihen und schaute sich um. Als sie mich entdeckt hatte, kam sie auf mich zu.
    „Oha“, meinte Tod.
    „Hey, Martin!“, sagte Anja fröhlich.
    Ich lächelte etwas beklommen zurück. „Hi.“
    „Störe ich?“, fragte sie und schaute mich auf eine seltsame Weise an.
    „Nein, natürlich nicht. Wie … wie geht’s dir?“
    „Gut, das Abi ist gut gelaufen. Und bei dir?“
    „Kann nicht klagen. Was hast du denn jetzt vor?“
    „Studieren.“
    „Ach, und was?“, fragte ich.
    „Ich will Lehrerin werden.“
    „Ah, also wieder zurück in den Schulbetrieb, weil es nicht schlimm genug war“, sagte ich mit ironischem Unterton, den Anja anscheinend nicht mitbekam.
    „Ich fand es gar nicht so schlimm“, sagte sie tonlos.
    „Ja, ich … wollte auch nur Spaß machen.“
    Sie nickte halb. Mir war klar, sie fand es nicht witzig.
    „Was willst du denn jetzt machen?“, fragte sie.
    „Na ja, also erst mal muss ich da hin, wo alle Männer hin müssen.“
    „Oh. Bis gleich“, sagte sie nur und ging ein Stück beiseite.
    Ich blieb sitzen und schaute sie völlig verwirrt an.
    „Ich muss zur Bundeswehr“, sagte ich.
    Sie schlug sich mit der Hand an die Stirn. „Ach so, ja, klar.“
    „Was dachtest du denn?“
    „Ich dachte, du musst …“
    „Ah, schon klar. Nein, danke, es geht noch“, sagte ich, und wir grinsten uns beide an.
    Sie setzte sich genau dahin, wo Tod es sich gemütlich gemacht hatte. Der sprang sofort wie von der Tarantel gestochen auf und sah mich an, als hätte ihm jemand ohne Vorankündigung eine Prostata-Untersuchung verpasst. Ich zuckte leicht mit den Schultern, weil ich signalisieren wollte, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte.
    „Du gehst also zur Bundeswehr? Hättest du nicht verweigern können?“
    „Schon, aber dann hätte ich ja noch länger Leuten den Arsch abwischen müssen oder so was in der Art.“
    „Aber immerhin würdest du was Sinnvolles tun, oder?“
    „Willst du damit etwa sagen, dass stundenlanges Marschieren und so zu tun, als würde man andere Leute erschießen, nicht sinnvoll ist?“
    „Na, immerhin bist du da immer modisch gekleidet.“
    Wir kicherten beide, während Tod neben uns stand und mit dem Fuß wippte.
    „Weißt du schon, wo du stationiert wirst?“, fragte sie.
    „Lehnitz. Das ist oben bei Oranienburg. Also nicht wirklich weit weg. Aber ich bin da halt doch einkaserniert und komme nur am Wochenende nach Berlin.“
    „Na wenigstens ist es nicht ganz so weit weg.“
    „Stimmt schon.“
    „Ich kann dir schreiben, wenn du willst.“
    Mein Blick huschte kurz in Richtung Tod, der ihr angewidert die Zunge rausstreckte.
    „Ich weiß nicht, was dein Freund dazu sagen würde.“
    „Wen meinst du? Ich habe gerade keinen Freund.“
    „Oh“, sagte ich.
    Es entstand eine ungewöhnlich lange Pause, in der in meinem Kopf alle möglichen Sätze durcheinanderwirbelten, die ich hätte sagen können, wie z.B. „Na, dann sollten wir uns mal verabreden“ oder „Kommst du öfter her?“, aber gerade der letzte Satz erschien mir arg dämlich. Überdies drehte sich Tod schon weg und schaute gen Himmel. Ein paar Meter weiter tuschelten ein paar Freundinnen von Anja und blickten in unsere Richtung. Schließlich brach Anja das Schweigen.
    „Ja, dann … werde ich mal wieder.“
    „Ich würde mich freuen, wenn du mir schreiben würdest“, schob ich schnell hinterher.
    „Lass mir die Adresse zukommen, okay?“
    „Werde ich.“
    Sie winkte mir zu und ging zu ihren Freundinnen. Tod ließ sich wieder auf den Sitz fallen und blickte mich mit verdrehten Augen an.
    „Sag nichts. Ich weiß“, kam ich ihm zuvor.
    „Wir hatten das Thema schon.“
    „Ich weiß. Du brauchst mir auch nichts zu erzählen, aber irgendwie … ich konnte nicht anders.“
    Tod seufzte nur.

Kapitel 20
    Am 4. Juli setzten mich meine Eltern mit ein paar Klamotten vor der Kaserne in Lehnitz ab und wünschten mir alles Gute. Meine Mutter wurde etwas sentimental und drückte mich überdeutlich, wodurch ich mich gezwungen sah, sie daran zu erinnern, dass ich nur den Wehrdienst antrat und nicht in den Krieg zog. Trotzdem war auch mir etwas mulmig zumute, als ich durch das Tor schritt und zum Haus der vierten Batterie des Panzerartilleriebataillons geschleust wurde. Ich wurde begrüßt, erhielt einen Trainingsanzug, der aussah,

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