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Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens

Titel: Der Tod und andere Höhepunkte meines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Niedlich
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deswegen fügte Tod hinzu: „Alles cool.“
    Ich schaute mich zu den Verletzten um, die hier und da lagen oder gar im Geröll steckten.
    „Wir können die nicht einfach liegen lassen“, sagte ich.
    „Doch. Es sei denn, du willst Aufmerksamkeit auf dich ziehen. Bis jetzt hat keiner mitbekommen, dass wir überhaupt hier sind.“
    „Dass der Tod heute hier war, ist wohl kaum zu übersehen. Weshalb mich keiner bemerkt hat, würde mich aber schon interessieren“, sagte ich, aber Tod ging nicht darauf ein.
    Etliche Feuerwehr- und Krankenwagen waren bereits vor einiger Zeit eingetroffen, aber ich hatte trotzdem ein schlechtes Gewissen dabei, die Leute zurückzulassen. Tod schien das zu spüren.
    „Es ist nicht deine Aufgabe. Trotzdem danke für die Hilfe.“
    „Also sind wir hier fertig?“, fragte ich Tod.
    „Ja, sieht ganz so aus.“
    „Dann bring mich gefälligst wieder zurück!“, brüllte ich ihn an und er zuckte tatsächlich zusammen.
    „Ist ja gut. Ganz ruhig, ja?“
    Kurz darauf fand ich mich in einem Körper wieder und betastete mich erst mal. Nach dem Intermezzo wollte ich sichergehen, dass nicht irgendwelche Extremitäten auf der Strecke geblieben waren. Die kurze Bestandsaufnahme bestätigte: Ich war vollzählig. Die Aufsicht in der Aula begutachtete mich mit argwöhnischen Augen, und ich gestikulierte, dass alles in Ordnung wäre.
    „Und jetzt mach, dass du wegkommst. Wir reden später darüber“, flüsterte ich Tod zu, der auch umgehend verschwand. Ich hingegen beugte mich über meine Bogen und schrieb weiter, während das Adrenalin immer noch durch meine Arterien pumpte. Keine Stunde später musste ich die Zettel abgeben und war mir ziemlich sicher, dass sich mein Notenspiegel an diesem Tag entscheidend gesenkt hatte.

Kapitel 19
    Ich erwartete Tod am selben Abend noch in meinem Zimmer und hatte Hummeln im Hintern deswegen. Statt etwas weniger nervös zu sein, da ich nun zumindest eine der Abiklausuren hinter mir hatte, war ich aufgewühlter als zuvor, weil mir die Erfahrung, zweigeteilt gewesen zu sein, schwer zusetzte. Aber Thanatos erschien nicht, und ich blieb mit meinen Gedanken allein.
    Das Gemeine an den Abiklausuren war, dass sie in kurzen Abständen hintereinander geschrieben wurden. Ich hatte also nur wenige Tage, mich auf Biologie vorzubereiten. Insofern war es vielleicht nicht so schlecht, dass Thanatos nicht auftauchte, mich noch weiter ablenkte oder in noch mehr Teile meiner selbst zerlegte, obwohl ich die vielleicht zum Lernen hätte gebrauchen können. Ich vertiefte mich also in die Bücher, machte mir noch einmal Notizen von allem, was in den letzten Jahren im Unterricht durchgenommen worden war, und war dann trotzdem völlig mit den Nerven runter, als ich schließlich wieder in der Aula saß, wieder fror und wieder versuchte, mir einen Reim auf die Prüfungsfragen zu machen.
    Irgendwann, ich schätze, es war eine halbe Stunde vergangen, schlug ich die Hände vors Gesicht und wünschte mir nur noch, dass ich am liebsten daheim wäre. Das plötzliche Übelkeitsgefühl überraschte mich, und ich brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass ich mich offenbar wieder zweigeteilt hatte. Ich saß noch immer in der Aula und brütete über den Aufgaben, aber ich war auch daheim und konnte meinen Vater im Nebenzimmer hören, wie er telefonierte. Selbstverständlich glaubte er, ich sei in der Schule. Sollte er mich also entdecken, würde ich einiges zu erklären haben. Ich versuchte, meine aufkeimende Panik zu ersticken, und überlegte, was ich tun könnte. Mein Blick fiel auf die Tasche mit meinen Schulbüchern. Und plötzlich kam mir eine Idee.
    Ich konzentrierte mich nun ganz fest auf die städtische Bibliothek – und tatsächlich fand ich mich einen Augenblick später dort wieder. Ich saß nun also in der Aula und hatte gleichzeitig eine Bibliothek mit allen Biologiebüchern zur Verfügung, die mir bei der Lösung der Aufgaben helfen konnten. Der ultimative Traum eines Schummlers!
    Es ist schwierig zu beschreiben, wie man sich fühlt, wenn man gleichzeitig zwei völlig unterschiedliche Dinge in zwei Körpern tut. Es ist ungefähr so, als hätte man zusätzliche Arme und Beine. Die Koordination klappte anfangs nicht gut, wie schon bei dem Ausflug mit Tod bei dem Erdbeben. Teilweise versuchte ich, in der Bibliothek zu schreiben, während ich in der Aula versuchte zu blättern. Ich sprang sogar von meinem Platz auf und lief herum, was die Prüfungsaufsicht in der Aula gar nicht witzig

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