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Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011)

Titel: Der Tod wartet im Netz (Die besten Einsendungen zum Agatha-Christie-Krimipreis 2011) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordelia Borchardt und Andreas Hoh
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Einsatzzentrum war ein einziges Chaos, Hunderte von Aktenordnern, losen Zetteln, Tonaufnahmen, Bildern der Tatorte. Gerade brütete er über der Akte eines der Opfer. Michael Rosendahl. Ein Professor der Physik, der normalerweise am Institut CERN in Genf forschte. Man hatte Jorgensen versichert, dass mehr als nur ein paar Gefallen hatten erfüllt werden müssen, um einen genialen Geist wie Rosendahl, einen der führenden Köpfe auf dem Gebiet der Kernforschung, für eine Gastvorlesung in eine Stadt wie Roskilde zu holen; es war nur einer engen Freundschaft zwischen Rosendahl und dem Study Supervisor zu verdanken. Ein tragischer Verlust für die Wissenschaft, so hatte eben jener sich ausgedrückt, als er vernommen worden war. Zur falschen Zeit, am falschen Ort. Die Tür zu dem kleinen Glaskasten von einem Büro, in dem Jorgensen saß, wurde weit aufgerissen. Irgendein junger Polizist, einer von denen, die mit dem Sondereinsatzkommando aus Kopenhagen gekommen waren. Sein Gesicht war von Enthusiasmus entflammt, doch Jorgensen war zu müde, zu aufgerieben, als dass er noch leicht zu begeistern war. Seine Stimme war dementsprechend süß wie schwarzer Kaffee. »Ja?« »Du hast doch die Studenten vernommen, ›L bis S‹, oder?« »Ja verdammt, nun sag schon, was ist?« »Erinnerst du dich an einen Omundsen? Arne Omundsen?« »Omundsen? Ja, ich glaube schon. Seltsamer Junge, ziemlich verängstigt. Was ist mit dem?« »Obligatorischer Hintergrundcheck. Der Junge war dreimal beim Psychiater, und er hat vor zwei Jahren den verdammten ersten Platz beim Jugendschießen gemacht.« Jorgensen fuhr vom Stuhl hoch und griff sich seine Jacke.

    Der Mann verursachte beinahe keine Geräusche, als er sich Arne von hinten näherte. Das Schmatzen der Gummistiefel auf dem nassen Gras wurde vom starken Regen übertönt. Arne Omundsen hatte das Gewehr zusammengesetzt und geladen, hatte es zusammen mit dem Sack und dem zerknüllten Tarnnetz auf einer Isomatte drapiert, an deren Fuß er stand. Er blickte auf den Fjord hinaus. Kein Grund, viele Worte zu machen, der Zeitplan war eng, und Theatralik, so süß sie schmeckte, machte die Aufgabe nicht weniger dreckig. Er blieb fünf Schritte hinter Arne stehen, hob die Pistole mit beiden Händen und drückte zweimal ab. Die beiden Löcher in Arnes Hinterkopf lagen höchstens eine Fingerbreite auseinander, der junge Däne kippte vornüber, starb, noch bevor sein Körper den Boden berührte. Perfekt. Die beiden Vollmantelgeschosse hatten den Schädel sauber durchschlagen, waren irgendwo im Fjord gelandet, der größte Teil des Blutes war auf der Matte gelandet, und die wenigen Spritzer im Gras würde der Regen fortwaschen. Er zog den Klappstuhl und den Beutel aus dem Gestrüpp, wo er sie einige Stunden zuvor versteckt hatte. Ein mit Plastiknetz bespannter Metallrahmen, in den er Arnes Leiche drückte. Aus dem Beutel förderte er ein Buch, einen MP 3-Player, eine halbe Flasche Cola, deren Mundstück er Arne gegen die Lippen drückte, und die Tüte eines Bäckers zutage. Er verstaute die blutige Matte und das Tarnnetz wieder in dem Sack, kontrollierte die Ladung des Gewehres. Dann legte er auf Arnes Leichnam an und feuerte ein Explosivgeschoss zwischen die beiden Löcher im Kopf der Leiche. Das Gewehr verschwand in dem Sack, zusammen mit einigen Feldsteinen, die dafür sorgen würden, dass der »Geist« bald sicher auf dem Grund des Fjordes lag.

    Sven Jorgensen hatte die Pistole in der Hand, als er die stählerne Außentreppe des Wohnblocks in der Lysallee hinaufstürmte. Ein langer, zweistöckiger Bau aus gelbem Sandstein. Subventionierte Jugendwohnungen, klein, aber für Studenten bezahlbar. Eigentlich hätte ein Sondereinsatzkommando den Zugriff übernehmen müssen, aber weder Jorgensen, noch einer der anderen Polizisten wollten noch eine Sekunde verlieren. Da, Apartment 107. ›Omundsen‹ stand in krakeliger Handschrift auf dem Schild unter der Klingel. Gläserne Haustür, von innen behelfsmäßig mit Tuch verhängt. Der hochgewachsene Blonde neben Jorgensen trat kraftvoll gegen das Schloss, brach die Tür auf. Jorgensen und drei andere, alle in Zivil, die Schusswesten über die Kleidung gestreift, stürmten in die Wohnung. Winzige Toilette, Kochzeile im Flur. Ein einziger Raum, Bett, Schreibtisch, Regal, alle von Ikea, der Fußboden verdreckt. Jorgensen hätte aus Gewohnheit losgebrüllt, doch der Schrei blieb ihm im Hals stecken. Leer. Zum zweiten Mal in wenigen Tagen stampfte Jorgensen

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