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Der Tod wirft lange Schatten

Der Tod wirft lange Schatten

Titel: Der Tod wirft lange Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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darauf im Haus. Der Aufzug war nicht da, also nahm er die Treppen bis hinauf zum Speicher. Völlig ausgepumpt hielt er unter einer geöffneten Dachluke einen Moment inne. Stille. Vorsichtig zog er sich hinauf und schaute sich um. Nur eine Reihe Kamine hob sich vom Nachthimmel ab, und ein Schatten lag auf den Ziegeln. Er traute sich nicht, zum Licht der Straßenlaternen hinunterzusehen, wo Sgubin sich unter Zementsäcken begraben hatte wie ein Penner. Auf allen vieren kroch er zu den Kaminen hinauf. Der schemenhafte Umriß stellte sich als ein ohmächtiger Kerl mit einer Glatze heraus, der sehr flach atmete. Laurenti legte ihm Handschellen an und kroch weiter. Beim ersten Kamin richtete er sich auf und hielt sich an dem Gemäuer fest. Er entsicherte seine Pistole. Dann machte er noch einen Schritt und sah plötzlich alle Sterne des Firmaments gleichzeitig aufleuchten. Er ging in die Knie, seine Waffe schlitterte mit einem metallischen Klang über die Ziegel und fiel in die Dachrinne. Ein Geräusch wie eben, dachte Laurenti und fiel vornüber.
    Licht. Woher kam das Licht? Langsam öffnete er die Augen und starrte in eine Taschenlampe. Er wollte sich aufrichten, doch jemand drückte ihn an der Schulter nach unten.
    »Langsam, Commissario, nicht bewegen. Wir sind auf dem Dach.« Es war die Stimme der Kleinen. »Ich hoffe, ich habe Ihnen nicht allzu weh getan.«
    Laurenti war immer noch benommen, Popeya hatte einen Mordsschlag. »Wie lange war ich weg?«
    »Nur ein paar Sekunden. Sie können gut einstecken.«
    »Wo ist der andere?« fragte Laurenti. »Dem dort habe ich Handschellen angelegt.« Er deutete mit dem Kopf auf den Umriß weiter unten.
    Pina leuchtete mit der Taschenlampe auf die spiegelglatte Glatze. »Das also war das Klicken, das mich nervös gemacht hat. Der andere liegt hinter dem Kamin. Wir müssen warten, bis sie zu sich kommen, um sie hinunterzubringen. Wir können sie hier nicht tragen.«
    »Hol mir meine Pistole zurück«, sagte Laurenti und deutete auf die Regenrinne.
    »Sofort«, sagte Pina, ging leichten Fußes über die Ziegel bis zum Rand des Daches und fischte die Waffe aus der Rinne.
    »Ich schick dir jemand hoch«, sagte Laurenti und richtete sich langsam auf. Auf allen vieren kroch er rückwärts zur Dachluke und ließ sich hinunter. Er rief Canovella an, gab Entwarnung und bat ihn, seinen Mann bei Galvano abzuziehen und aufs Dach zu schicken. Dann ging er die Treppe vom Speicher hinunter und wartete vor der Tür des Alten. Immer wieder betastete er sein Kinn, das höllisch schmerzte.
    Mit dem Floh würde er sicher noch einiges erleben.

Ein Morgen im Mai
    Mia hatte die Fensterläden geschlossen und die Schlüssel des Cinquecento, den sie schon am Abend in den Schuppen im Hof gefahren hatte, auf den Küchentisch gelegt, als sollte jemand anderer nicht lange danach suchen müssen. Eine Viertelstunde vor der Zeit hatte sie den Haupthahn im Keller geschlossen und die Sicherungen herausgedreht, dann die Koffer durch den Hof geschleppt und die Haustür hintersich zugesperrt. Die Zigarette, die sie sich auf der Straße ansteckte, hatte sie erst halb geraucht, als der Taxifahrer ausstieg, um ihr Gepäck zu verstauen. Sie schnippte die Kippe auf den Gehweg.
    »Zum Flughafen also?« fragte der Mann. »Die Maschine nach Rom, nehme ich an.« Es war der erste Flug am Morgen.
    Mia gähnte und nickte. Sie hatte die ganze Nacht über kein Auge zugetan, doch die Aufregung der nahen Abreise verscheuchte die Müdigkeit.
    »Müssen Sie schon wieder weg?« fragte der Mann.
    »Leider«, sagte Mia.
    »Wie lange waren Sie denn hier? Kaum zwei Wochen, wenn ich mich richtig erinnere?«
    »Mhm.«
    »Eine kurze Zeit für eine lange Reise. Das nächste Mal sollten Sie länger Ferien machen. Oder hat Ihnen Triest etwa nicht gefallen?«
    Zu dieser Uhrzeit schlief die Stadt noch. Bis ins Zentrum kamen sie schnell voran, doch am Ende der Rive sahen sie nur Blaulichter. Vor dem Gebäude des ehemaligen Terminals zum Wasserflughafen, dem Sitz der Guardia Costiera, herrschte Hochbetrieb. Eine Fahrspur war gesperrt und die Einfahrt zum Alten Hafen von Autos der Polizia di Stato und von Carabinieri abgeriegelt. Auf der Piazza Libertà stand ein Polizeiposten, der jedes einzelne Fahrzeug kontrollierte. Mia rutschte das Herz in die Hose, als sie die Situation erkannte. Jetzt war also alles vorbei. So kurz vor der Freiheit.
    »Was wollen die hier?« murmelte der Taxifahrer und rückte auf. »Ist irgendwas im Alten Hafen passiert?«

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