Der Todesbote
sich auch noch«, hört man aus der Menge.
Da beschließt das Gericht, die Fortsetzung der Urteilsbegründung auf den nächsten Tag zu verschieben.
Ein großer, schlaksiger Beamter, der für die Rückführung Onoprienkos verantwortlich ist, geht auf ihn zu, nimmt eine seiner Hände vom Gesicht und legt ihm Handschellen an. Ohne erkenntliche Regung verlässt Onoprienko seinen Käfig.
Er blickt noch einmal in die Reihen der Zuhörer und sieht die unzähligen Fäuste, die sich ihm entgegenstrecken. Er hört die Zurufe und verzweifelten Schreie der Angehörigen der Opfer. Immer wieder rufen sie ihm zu: »Warum hast du uns das angetan?«
Noch einmal lächelt er die Zurufenden zynisch an. Da entzündet sich erneut der Zorn des Volkes. Die Polizei hat Mühe, die Zuhörer zurückzuhalten. Der Kreis um Onoprienko, bestehend aus acht Polizisten, schließt sich eng um ihn. Sie haben es plötzlich eilig, ihren Häftling aus dem Saal zu bringen. So verlässt Onoprienko mit gesenktem Haupt den Gerichtssaal.
Der Gerichtsdiener hat Mühe, den Saal zu räumen. Zu erhitzt sind die Gemüter der Menschen, und er kann sie verstehen.
Alle Zeitungen des nächsten Tages hatten nur ein Thema: das Urteil gegen Anatolij Onoprienko. Die Journalisten berichten noch einmal über seine schrecklichen Taten. Sie beschreiben noch einmal die Gefühle der Angehörigen der Opfer, über den Schock und das Entsetzen, das entstand, als man das Ausmaß des Schreckens erkannte.
»Ich bin der Prophet des Teufels«, überschreibt eine Zeitung ihren Leitartikel. »Mit einer Botschaft, die niemand in diesem Lande vernehmen wollte«, fährt sie fort. Wen wundert, dass die Bevölkerung die Berichte über das Urteil verschlungen hat.
Noch einmal waren sie hautnah dabei im blutigen Drama des Anatolij Onoprienko.
Die Zeitungen zeigen noch einmal Bilder von Onoprienko während der Urteilsverkündung. Sie setzen ihn noch einmal in Szene, wie er seine – wahrscheinlich gespielte – Gleichgültigkeit an den Tag legte. Noch einmal appellieren die Berichterstatter an den Staatspräsidenten, sein Versprechen wahr zu machen und die Todesstrafe zu vollziehen, obwohl sie in diesem Lande bereits abgeschafft wurde.
»Diesem Tier darf nicht geholfen werden«, sagt er in einem bewegten Fernsehinterview. »Der Staatspräsident bezeichnet dieses Individuum als Tier«, stellt ein Berichterstatter fest.
»Und für Tiere gelten andere Regeln. Also, was hindert die Regierung daran, dieses Tier zu töten? Die Unterstützung der Bevölkerung wäre Ihnen sicher!«
Mit theatralischen Worten beginnt der Vorsitzende Richter den zweiten und letzten Tag der Urteilsverkündung. Es ist der Tag der Urteilsbegründung. Auch an diesem Tag ist der Gerichtssaal bis zum letzten Platz gefüllt. Obwohl das Urteil gesprochen worden ist, wollen viele Menschen dem Mann noch einmal in die Augen sehen, dessen Gesicht vielleicht nie mehr in der Öffentlichkeit zu sehen sein wird.
Onoprienko sitzt wie meist teilnahmslos in seinem Käfig.
Nur selten blickt er zur Richterbank. Ab und zu nickt er wohlwollend mit seinem Kopf, vor allem wenn die einzelnen Morde geschildert werden. Ansonsten ist keinerlei Reaktion bei ihm zu erkennen.
Einzeln werden die Taten vom Gericht vorgetragen, worauf man das Ergebnis der Verhandlung stützt. Kein noch so kleines Ermittlungsverfahren und keine Beweissicherung, die zu diesem Urteil führten, werden außer Acht gelassen. Man gibt sich Mühe, sehr viel Mühe, obwohl der Angeklagte alle Vorwürfe des Gerichts einräumte und geständig war bei all seinen Taten.
Das Gericht lobt die Bereitschaft des Angeklagten bei der Beweisfindung und fügt hinzu: »Es bereitete dem Verurteilten große Freude, seine schrecklichen Taten noch einmal durchleben zu können. Zu keinem Zeitpunkt zeigte er Reue oder bedauerte seine Taten.« Dabei nickt Onoprienko zustimmend.
»Aus diesem Grunde musste in diesem speziellen Fall die Höchststrafe als angemessen erachtet werden. Für diesen Menschen konnte es nur eine Strafe geben, die Todesstrafe.«
Mit diesen Worten schließt der Richter seine Ausführungen zum Fall Onoprienko, und die Verhandlung über ihn wird wahrscheinlich für immer geschlossen bleiben.
Der Gerichtsdiener und die Sicherheitsbeamten ersuchen die Zuhörer, das Gebäude zu verlassen. Es gibt keinerlei Reaktionen mehr bei den Menschen. Nur ein Mann hebt demonstrativ, wie zu einem Zeichen über einen Sieg, Onoprienko die geballte Faust entgegen.
Es dauert nicht
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