Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Todesstoss

Der Todesstoss

Titel: Der Todesstoss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
zahlreichen blauen Flecke und
Prellungen und die nässenden Brandblasen wegdachte. Ihre
Augen waren riesig und fast schwarz vor Furcht, und obwohl
sie Andrej direkt anblickten, war er sicher, dass sie ihn nicht
sah.
Trotzdem sagte er: »Du musst keine Angst mehr haben. Du
bist in Sicherheit. Niemand wird dir etwas tun.«
Er bekam keine Antwort. Der Blick des Mädchens blieb
weiter auf etwas Unfassbares gerichtet, das sich in unendlicher
Entfernung zu befinden schien.
Andrej richtete sich auf, drehte sich um und ergriff sein
Schwert fester.
Nicht, dass es notwendig gewesen wäre. Ganz wie Abu Dun
vorausgesagt hatte, waren die Dorfbewohner in heller Panik
davongerannt; spätestens in dem Moment, in dem sie gesehen
hatten, wie er die beiden Soldaten erschlug.
Zwei oder drei reglose Körper, deren genauen Zustand Andrej
im Licht des Feuers nicht beurteilen konnte, gehörten wohl den
wenigen, die entweder dumm genug oder zu langsam gewesen
waren, Abu Dun aus dem Weg zu gehen, und er hörte entfernte
Schreie und hastige Schritte.
Abu Dun selbst kam ohne sonderliche Eile auf ihn zu, und
hätte es hinter Andrejs Stirn nicht noch immer gewütet, dann
hätte er vielleicht den Anblick bemerkt, den sein Freund bot.
Denn der hünenhafte Nubier schleifte eine reglose Gestalt hinter
sich her, die er kurzerhand am Fußgelenk gepackt hatte.
Der Ausdruck auf Abu Duns Gesicht war fast noch schwärzer
als seine Haut, und er spießte Andrej mit Blicken regelrecht auf.
»Maria, wie?«, grollte er. »Daher also dein plötzlicher
Sinneswandel.«
»Ich habe gedacht…«
»Du hast gedacht«, unterbrach ihn Abu Dun wütend, »dass
einer von deiner Art in Gefahr wäre, nicht wahr? Was ist jetzt
mit deiner hehren Gesinnung?
Wie war das doch gleich? Wir haben nicht das Recht,
Unschuldige zu töten, um Unschuldige zu retten? Sind die
Leute hier plötzlich weniger unschuldig, nur weil diesmal einer
von deiner eigenen Art in Gefahr war?«
»Du hast Recht«, sagte Andrej leise. »Es tut mir Leid. Aber
ich … ich konnte plötzlich nicht anders. Ich dachte, es wäre
Maria.«
»Deine Maria«, antwortete Abu Dun böse, »ist vermutlich seit
zehn Jahren tot. Und wenn nicht, dann will sie nichts von dir
wissen. Begreif das endlich!«
Andrej musste sich mit aller Macht beherrschen, um den
Piraten nicht anzugreifen. Rasende Wut verschleierte seinen
Blick, und das Schwert in seiner Hand schien sich fast gegen
seinen Willen heben zu wollen, um nach der Kehle des Piraten
zu züngeln.
Dann, so schnell, wie sein Zorn gekommen war, verschwand
er auch wieder, und er fühlte sich so erbärmlich, als hätte er sein
Ansinnen laut ausgesprochen.
Abu Dun schien zu ahnen, was in ihm vorging.
»Wir sollten von hier verschwinden«, sagte er. »Sie sind zwar
weg, aber wenn sie ihren ersten Schrecken überwunden haben,
könnten sie auf den Gedanken kommen, sich zusammenzurotten
und uns als neues Brennmaterial für ihren Scheiterhaufen zu
benutzen.«
»Hast du etwa Angst?«, fragte Andrej spöttisch.
»Nein«, antwortete Abu Dun. »Aber ich bin nicht versessen
darauf, noch ein paar Schädel einzuschlagen. Es langweilt mich.
Die beiden einzigen richtigen Gegner hast du ja für dich
beansprucht.«
Andrej blieb ernst. »Wer ist das?«, fragte er mit einer Geste
auf den Mann, den Abu Dun am Fuß hinter sich herzerrte.
Abu Dun sah mit gespielter Überraschung auf den
Bewusstlosen herab, dann runzelte er die Stirn, als müsse er
angestrengt nachdenken. »Oh, das«, sagte er dann. »Das habe
ich gefunden. Willst du es haben?«
»Nur, wenn es sprechen kann«, antwortete Andrej. »Lebt es
noch?«
»Das werden wir gleich herausfinden«, sagte Abu Dun. Er
grinste, ließ den Fuß des Bewusstlosen los und beugte sich über
ihn. Andrej konnte nicht erkennen, was er tat, aber es verging
nur ein kurzer Moment, bis der Mann die Augen aufschlug und
prompt zu schreien begann. Abu Dun versetzte ihm eine
schallende Ohrfeige, und die Schreie des Mannes verstummten.
»Schlag ihn nicht tot«, mahnte Andrej absichtlich so laut,
dass ihr Gefangener es hören musste. »Wenigstens noch nicht.
Ich will mit ihm reden.«
Abu Dun machte ein enttäuschtes Gesicht, erhob sich aber
gehorsam und wich einen Schritt zurück, und Andrej nahm
seinen Platz ein. Auf dem Gesicht des Mannes machte sich
vorsichtige Erleichterung breit, und er versuchte sich
aufzurichten. Andrej versetzte ihm einen Fußtritt, und er sank
japsend vor Schmerz wieder zurück.
»Bleib liegen«, sagte er

Weitere Kostenlose Bücher