Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
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|7| Vorwort
Konsumkritik – aber richtig!
Unter den bezaubernden Kindergeschichten vom kleinen Nick, die der legendäre französische Autor René Goscinny vor 35 Jahren
schrieb, findet sich eine, die regelrecht zeitdiagnostische Kraft besitzt. Sie handelt davon, wie der kleine Nick kurz vor
Schulbeginn mit seiner Mama die notwendigen Dinge für die Schultasche einkaufen geht. »Dann hat Mama mir ein Mäppchen gekauft,
das aussieht wie das Halfter von einer Pistole, aber an Stelle von einer Pistole ist ein Bleistiftspitzer drin, der aussieht
wie ein Flugzeug, und ein Radiergummi, der so aussieht wie eine Maus, und ein Bleistift, der aussieht wie eine Flöte, und
eine Menge kleiner Dinge, die aussehen wie irgendwelche anderen Dinge.«
In einem gewissen Sinne sind alle Dinge heute Dinge, die aussehen wie irgendwelche anderen Dinge. Nicht, dass ein Turnschuh
nicht aussähe wie ein Turnschuh. Das natürlich keineswegs. Aber doch ist in der »designer capitalist society« kaum ein Ding
mehr auf seine nackte Dinghaftigkeit reduziert. Die Dinge repräsentieren gleichzeitig Bedeutung. Der Turnschuh repräsentiert
Fitness, die abgewetzte Trainingsjacke repräsentiert Hipness, der iPod Trendyness, die Obstpresse repräsentiert gesunde Ernährung,
das zierliche Teeservice repräsentiert Entspannung, das Perrier-Mineralwasser Lebensart, und der Fair-Trade-Kaffee annonciert,
dass der Käufer ein guter Mensch ist. |8| Dinge, die besonders gut sind beim Repräsentieren, nennt man im allgemeinen »Kult«: der Adidas-Schuh, die Ray-Ban-Brille,
der Latte macchiato, der iMac, das gerade angesagte Kult-Buch, die Toskana-Reise, das hippste Handy der Saison, das Stück
von Prada, das Accessoire von Dolce&Gabana – die Liste ist endlos. Alles Dinge, die viele Leute haben wollen, weil
sie gerne möchten, dass die Attribute, mit denen die Dinge verbunden sind, auch mit ihnen verbunden werden. Im Lifestyle-Kapitalismus
ist der Stil eines Menschen, seine Identität, unmittelbar verbunden mit den Dingen, die er konsumiert.
Der praktische Gebrauchswert der Dinge gerät in den Hintergrund, was nicht heißt, dass er keine Rolle mehr spielt – aber dass
die Güter ihren praktischen Nutzen erfüllen, wird ohnehin vorausgesetzt. Dass jeder MP-3-Player Musik wiederzugeben vermag,
ist keine Frage, was aber den einen MP-3-Player von anderen unterscheidet, ist das, was man seine Kultur nennen könnte. Deshalb
wird die Kultur in der Güterproduktion immer bedeutender. Ich spreche deshalb im Folgenden vom »Kulturkapitalis mus « – ein Begriff, der vom amerikanischen Trendforscher Jeremy Rifkin geprägt wurde.
All das ist irgendwie bekannt, aber in seiner Dimension noch gar nicht richtig begriffen. Gewiss, die Postmoderne hat ihren
Frieden mit der Populärkultur gemacht und instinktiv die Unterscheidung zwischen »wichtig« und »un wichtig « verworfen. Die Analyse des unbedeutendsten Gutes galt ihr als ebenso relevant wie die Auseinandersetzung mit den alten,
großen Fragen. Ja, mehr noch: Die alten großen Themen – »Geschichtsphilosophie«, »Arbei terklasse «, »Fortschritt« – schleppten einen prallvollen Rucksack an Bedeutung mit, schienen aber zunehmend irrelevant zu werden, während
die unbedeutendsten Dinge an Relevanz zu gewinnen schienen. Man kann das auch als |9| paradoxe Volte der Verdinglichung beschreiben: Die Bedeutung wandert in die Dinge ein. Man kann es freilich auch mit Hinweis
auf die Psychoanalyse beschreiben, die uns schließlich gelehrt hat, dass die nebensächlichsten Handlungen einer Person Symptom
grundlegender psychischer Störungen sein, also auf sehr Bedeutendes verweisen können. So ähnlich ist auch mit der Konsumkultur:
Die Analyse der Dinge, die wir kaufen, die Analyse der Gründe, warum wir sie kaufen, hat fundamentale Bedeutung für das Verständnis
unserer Gesellschaften.
Die klassische Kapitalismuskritik und die klassische Ökonomie haben dies noch längst nicht wirklich begriffen. Die linke Konsumismuskritik
unterstellt, die Werbung manipuliere den Verbraucher, der nicht weiß, was er tut – wohingegen die Konsumenten durchaus selbstbewusst
aus dem Fundus der Stil-Angebote auswählen und gerade die Lifestyle-Attribute der Waren nachfragen. Es ist die Bedeutung der
Güter, die die Kunden konsumieren – man muss sie da nicht manipulieren, im Gegenteil, sie wissen das sehr gut.
Die klassische Ökonomie kann mit den Realitäten der
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