Der Todeswirbel
Nachttisch lag eine weiße Schachtel mit der Aufschrift: »Allabendlich vor dem Schlafengehen ein Pulver.« Seine Hand vorsichtig mit seinem Taschentuch umwickelt, öffnete er das Schächte l chen. Drei Pulver waren übrig geblieben. Poirot wandte sich dem Schreibtisch zu. Der davor stehende Stuhl war beiseite geschoben, auf der Platte lag ein Bogen Papier, auf dem mit ungeschickter, kindlicher Hand geschrieben stand:
»Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich kann nicht mehr weiter. Ich bin schlecht. Ich muss mich einer Menschenseele anvertrauen, sonst komme ich nie mehr zur Ruhe. Ich wollte nichts Schlechtes tun. Ich habe nicht gewusst, dass es so werden wird. Ich muss es niederschreiben – «
Doch weiter war die Schreiberin nicht gekommen. Die Feder lag noch neben dem Papier, achtlos hingeworfen.
Lynn stand neben dem Bett, als die Tür aufgerissen wurde und David Hunter, atemlos vom schnellen Laufen, ins Zimmer stürzte.
»David! Hat man dich freigelassen? Ich bin so froh – «
Er beachtete sie überhaupt nicht, sondern eilte an ihr vorüber zum Bett.
»Rosa! Rosaleen!«
Er berührte die kalte Hand. Dann fuhr er wie ein Wahnsinniger herum und sprühte Lynn aus wutblitze n den Augen an.
»Habt ihr sie ermordet, ja? Habt ihr sie aus dem Weg geschafft? Mich hat man mit einer hinterlistigen, erlog e nen Anklage ins Gefängnis gesteckt, um freies Spiel zu haben, und dann habt ihr euch verschworen und Ros a leen ermordet. Mörder!«
»Nein, David!«, rief Lynn zitternd. »Wie kannst du das denken. Keiner von uns würde so etwas tun. Niemals.«
»Einer von euch hat sie ermordet, Lynn Marchmont«, fuhr David sie kalt an. »Und du weißt es so genau, wie ich es weiß.«
»Bevor sie sich letzte Nacht zu Bett begab, schrieb sie dies hier«, mischte sich Poirot ruhigen Tones ein und deutete auf den Schreibtisch.
David wandte sich sofort dem Briefbogen zu, aber Po i rot warnte ihn noch rechtzeitig, das Papier nicht zu b e rühren. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, las David die wenigen Zeilen.
»Und wollen Sie vielleicht behaupten, sie hätte Selbs t mord begangen?«, rief er. »Weshalb hätte Rosaleen Selbstmord begehen sollen?«
Die Stimme, die die Frage beantwortete, gehörte nicht Poirot, sondern – Inspektor Spence.
Der Inspektor stand auf der Schwelle.
»Angenommen, Mrs Cloade war letzten Dienstag nicht in London, sondern in Warmsley Vale? Angenommen, sie suchte den Mann auf, der versucht hatte, sie zu erpre s sen? Angenommen, sie ermordete ihn in einem Anfall hysterischer Wut?«
»Meine Schwester war letzten Dienstag in London«, entgegnete David heftig. »Sie befand sich in unserer do r tigen Wohnung, als ich um elf Uhr heimkam.«
»Das behaupten Sie, Mr Hunter«, sagte Spence. »Und ich nehme an, dass Sie an dieser Geschichte festhalten werden. Aber niemand kann mich zwingen, sie zu gla u ben. Abgesehen davon« – er deutete auf das Bett –, »ist es zu spät. Der Fall wird nie vor Gericht kommen.«
31
» E r will es nicht zugeben«, sagte Inspektor Spe n ce, »aber ich glaube, er weiß, dass sie den Mord begangen hat.« Er blickte über seinen Schrei b tisch hinweg Poirot an, der ihm gegenübersaß.
»Es ist doch merkwürdig, wie wir immer an seinem Al i bi herumrätselten und nie auf den Gedanken kamen, einmal Rosaleen Cloades Angaben zu überprüfen. Dabei haben wir nur David Hunters Aussage, dass seine Schwester sich wirklich am Dienstagabend in ihrer Lo n doner Wohnung befand. Über sie selbst habe ich mir nie den Kopf zerbrochen. Sie war so ein unbedeutendes Pe r sönchen, wirkte fast ein wenig beschränkt, aber darin liegt wahrscheinlich die Erklärung.«
Poirot verhielt sich still. Der Inspektor fuhr fort:
»Sie muss Arden in einem Anfall hysterischer Wut e r schlagen haben. Er vermutete keine Gefahr bei ihrem Besuch. Wie sollte er auch! Aber etwas will mir nicht in den Kopf. Wer hat Major Porter bestochen, eine falsche Aussage zu machen?«
»Ich hätte es wissen müssen. Major Porter selbst hat es mir gesagt«, entgegnete Hercule Poirot.
»Er selbst hat es Ihnen gesagt?«
»Nicht direkt natürlich. Eine Bemerkung von ihm ve r riet es. Er war sich dessen gar nicht bewusst.«
»Und wer war es?«, fragte Spence ungeduldig.
Poirot neigte seinen Kopf etwas zur Seite und sah schräg zu dem Inspektor auf.
»Darf ich Ihnen zwei Fragen stellen, bevor ich Ihnen die gewünschte Antwort gebe?«
»Fragen Sie, was Sie wollen.«
»Diese, die wir auf dem Nachttisch
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