Verzehrende Leidenschaft
1
Vor der Küste im Nordwesten Schottlands –
August 1400
Na komm schon, Mädchen, meine Schmeicheleien verdienen doch wenigstens ein kleines Lächeln!«
Moira warf einen verstohlenen Blick auf den Mann vor ihr. Er ließ sie kaum aus den Augen, seit sie vor drei Tagen aufs Schiff gekommen waren. Die krumme Annie, ihre scharfzüngige Aufpasserin, hatte etwas über diesen Mann gegrummelt und Moira streng angewiesen, ihm aus dem Weg zu gehen. Doch das war gar nicht so einfach auf einem derart kleinen Schiff.
Der Mann hatte etwas Seltsames an sich. Sein schwarzes Haar war von grauen Strähnen durchzogen, und um die Taille war er so füllig, dass sein Wams spannte. Sein schwarzer Bart war struppig, und seinen Hut hatte er so tief in die Stirn gezogen, dass man seine Augen kaum sehen konnte.
Das alles wies auf einen schmuddeligen älteren Mann hin, doch Moira hatte noch einiges andere bemerkt, was in dieses Bild nicht recht passen wollte. Die engen Ärmel seines eleganten kurzen schwarzen Rocks ließen starke, schlanke Arme erahnen. Seine ebenfalls schwarze Hose saß so knapp, dass sich darunter lange, wohlgeformte Beine abzeichneten. Seine Stimme war tief und kräftig, die Stimme eines vor Lebenslust sprühenden jungen Mannes. Seine Bewegungen wirkten geschmeidig und elegant, auch sie passten nicht zu seinem offenkundigen Alter und seiner Leibesfülle. Als er sie jetzt anlächelte, war Moira überzeugt, dass er nicht der war, der zu sein er vorgab. Diese Erkenntnis verstärkte jedoch ihr Unbehagen. Als sie sich suchend nach der krummen Annie umblickte, stellte sie zu ihrem Verdruss fest, dass die gichtige Alte sich gerade an einen ebenso gichtigen alten Matrosen heranmachte.
»Sie wird gleich kommen, um Euch zu tadeln und Euch wegzuzerren«, meinte der Mann.
»Ich glaube, ich gehe lieber zu ihr.« Moira keuchte überrascht auf, als er sie bei der Hand packte und festhielt.
»Aber, aber! Ihr wollt der Alten doch nicht die Gelegenheit zu einer kleinen Schäkerei verderben, oder?«
Moira war über seine unverblümten Worte empört. Dass Annie möglicherweise ans Schäkern dachte, warf sie beinahe ebenso aus der Bahn wie die Berührung dieses seltsamen Mannes. Er fing an zu grinsen, runzelte dann aber die Stirn. Offensichtlich hatte er die Angst in ihrer Miene bemerkt. Daran war ihr Vormund schuld, der oft genug dafür sorgte, dass sie Männer fürchten gelernt hatte. Es war zwar unberechtigt, aber in dem Moment, als der Bursche sie bei der Hand gepackt hatte, war sie in Erwartung einer Ohrfeige erstarrt.
»Ach, mein armes, süßes, ängstliches Kindchen, Ihr braucht Euch doch vor dem alten George Fraser nicht zu fürchten!«
Da es sie ärgerte, dass dieser Mann sie als Kindchen bezeichnete, fasste sie sich ein Herz und befreite sich aus seinem Griff. »Meiner Meinung nach, Mr Fraser, sollte ein Kindchen gut aufpassen, wenn ein dreimal so alter Mann versucht, mit ihm zu schäkern.«
»Dreimal so alt?« George schnappte nach Luft, doch dann machte er sich an seinem Wams zu schaffen und zuckte die Schultern. »Das Alter hält einen Mann nicht davon ab, sich am Anblick eines hübschen jungen Mädchens zu erfreuen.«
»Dann sollte Euch vielleicht Eure Gemahlin davon abhalten.«
»Das hätte sie wohl getan, aber sie weilt nicht mehr unter uns.« Seufzend lehnte er sich an die Reling. »Meine gute Margaret hat sich vor drei Jahren ein Fieber eingefangen und ihren letzten Atemzug ausgehaucht.«
»Oh, das tut mir leid, Sir.« Sie tätschelte seinen Arm, doch ihr Mitgefühl schwand, als sie merkte, wie stark und schlank dieser sich anfühlte. »Ich wollte keine schmerzlichen Erinnerungen wecken.«
»He, Sir, lasst bloß Eure alten Pfoten von dem jungen Mädchen!«, fauchte die krumme Annie und zerrte Moiras Hand von seinem Arm, bevor er seine Hand darauf legen konnte.
»Wir haben uns doch nur über seine Gemahlin unterhalten«, protestierte Moira und versuchte, sich aus Annies eisernem Griff zu befreien. Aber die mit Altersflecken übersäte Klaue des Weibs lag wie eine Fessel um ihr Gelenk.
»Na, die sollte dem alten Lustmolch mal eine deftige Abreibung verpassen.«
»Annie«, ächzte Moira und errötete ob der derben Sprache ihrer Betreuerin. »Seine Gemahlin ist verstorben!«
»Ach so. Wahrscheinlich hat er sie mit seinen Liebeleien in den Tod getrieben.«
»Es tut mir leid, Sir.« Moiras Entschuldigung klang etwas unsicher, denn sie bemerkte, dass der Mann ein Grinsen unterdrückte.
»Jetzt komm schon.«
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