Der Tote am Hindenburgdamm: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
bereits großherzig umentschieden hatte. Seinem neuen jungen Kollegen war anscheinend vor allem darum zu tun, Asmus nicht in diverse ausgestreckte Messer laufen zu lassen. »Niklas für dich. Kriminaloberinspektor stimmt.«
»Danke, Niklas.« Matthiesen sah ihn mit einer Spur Bewunderung an. »Der HWM Sinkwitz ist Kommunist bis in die Knochen. Mindestens genauso gefährlich wie Jung, aber aus politischen Gründen. Dabei lebt die Familie trotz des Namens schon Jahrzehnte auf Sylt. Unterschätz ihn nicht. In dieser Wache den Mund zum Widerspruch aufzumachen ist jedenfalls nicht ratsam.«
»Genau der richtige Ort für mich«, spöttelte Asmus. »Über lose Sprüche bin ich in Rostock schon gestolpert. Ist der Sinkwitz Sozialist und Kommunist, wie die Sorte, die Hitler anhängt? Ein Faszist?«
»Ich weiß es nicht. Er gehört zur sozialistischen Arbeiterpartei, er spricht öfter über die Räterepublik, die sie einrichten wollen. Deswegen sieht man ihn gelegentlich auf der Nössehalbinsel, wo er mit den vom Festland angeheuertenArbeitern quatscht. Ich habe einmal in einem seiner Bücher geblättert, das auf dem Schreibtisch lag. Das war von einem gewissen Bebel geschrieben.«
»Dann weiß ich Bescheid«, antwortete Asmus nachdenklich. Soweit er gehört hatte, hatten diese beiden Gruppen in vielem unterschiedliche Auffassungen. Und alle waren sie links und ungeheuer gefährlich. Agitation nannten sie dieses Bequatschen anderer.
»Nimm dich bloß in Acht«, warnte Matthiesen besorgt. »Ich würde dich nicht gerne verlieren, jetzt, wo ich weiß, dass du kein Duckmäuser bist und ein loses Maul hast.«
»Ist zuweilen schwierig«, grummelte Asmus.
»Glaube ich ja. Wir haben dann noch einen weiteren Kollegen, den Wachtmeister Jep Thamsen, der nicht unrecht ist, aber uninteressiert an allem. Mit Schmeichelei schafft er, dass du eine seiner Pflichten übernommen hast und gar nicht weißt, wie du dazu gekommen bist.«
»Manchmal klappt es mit Erziehung«, warf Asmus ein.
»Einen Älteren im höheren Rang zu erziehen ist schwierig.«
Da hatte er natürlich recht. Asmus war in einer anderen Position gewesen. »Was ist das für ein Fall ohne Namen, den Jep und Jung klären sollen?«
»Anscheinend ein Landstreicher, jedenfalls kein Sylter, der tot am Strand gefunden wurde. Herzattacke vielleicht oder Hunger. Soll ein schmales Hemd sein.«
»Kann Jung solche Fälle klären? Hat er darin Erfahrung? Und vor allem: Geht er ihnen mit allem Nachdruck nach?«
Matthiesen zuckte die Schultern. »Nur, wenn er ihm irgendetwas für sein Fortkommen einträgt, schätze ich. Aber ›Landstreicher‹ hört sich nicht danach an. Und Jep dackelt sowieso nur hinterher.«
Zwei Stunden später hatte Asmus schon eine ganze Menge von Westerland zu sehen bekommen und erfahren, dass die Diebstähle beachtlich zugenommen hatten, seitdem nach dem Krieg die Armut der Bevölkerung in rasender Geschwindigkeit wuchs. Auch auf Sylt war die Inflation angekommen, wie überall.
»Wir haben auch Streitereien in Hotels zu schlichten«, erzählte Matthiesen bedrückt. »Das ist früher nie vorgekommen, wir waren doch so stolz darauf, dass wir Wyk auf Föhr mit unseren illustren Gästen überholt hatten. Aber mittlerweile glauben auch reiche Badegäste, dass sie einem Betrug aufgesessen sind, wenn sie bei der Abfahrt bezahlen wollen und die Kosten innerhalb von vier Wochen um das Dreifache gestiegen sind. Stell dir vor, jetzt werden wir gerufen, um Hoteldirektoren vor gewalttätigen Baronen zu retten. Bis wir ankommen, sind häufig Vitrinen zerschlagen, Teegeschirr liegt auf dem Boden, und mittendrin schwimmt der gute Kognak.«
»Du liebe Zeit!«
»Ja. Dabei geht es in den Unterkünften ehrlich zu. Es gibt einen Hotelindex, den der Reichsverband der Hotels und der Bäderverband gemeinsam festsetzen. Daraus wird ein Multiplikator festgesetzt, der mit den Friedenspreisen multipliziert wird, und daraus ergibt sich jede Woche der neue Preis für Logis und Essen.«
»Dann werdet ihr wohl bald keine Gäste mehr haben«, mutmaßte Asmus nüchtern.
»Ja, genau. Und das schürt Unruhe. Sylt war einmal eine friedliche Insel von Bauern und Fischern, aber seitdem man in der Stadt Westerland und in Dörfern wie Kampen erkannt hat, dass sich Unmengen von Geld aus den Sommerfrischlern herausholen lässt, sind zahllose Fremde eingewandert, die einen Kampf um die Gäste entfesselt haben. Die Ursylter machen mit. Und jetzt sollen diese schönen Aussichten auf Reichtum
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