Der Tote am Hindenburgdamm: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
plötzlich wegen der Inflation dahin sein? Weder die Hoteliers noch die Kaufleute lassen sich das gefallen. Ich sage dir, Niklas, uns stehen düstere Zeiten bevor.«
»Da könntest du recht haben. Das ist wie überall.«
Als sie auf der Kurpromenade vom Burgenstrand bis zum Musikpavillon und wieder zurück zur Höhe der Friedrichstrasse gekommen waren, entdeckte Asmus eine Buchhandlung, in der er einen Stadtplan kaufte. Dann fiel ihm noch etwas ein. »Sag mal, Lorns, kannst du mir einen ehrlichenHändler von Motorrädern empfehlen? Ich weigere mich, die Strecke von Munkmarsch nach Westerland mit dem Fahrrad zurückzulegen. Bei Sturm, bei Gewitter und Regen … Und ein Motorrad zum Preis von heute wird preiswerter sein als eine Unterkunft in Westerland, deren Kosten jede Woche steigen.«
»Du willst wirklich auf deinem Boot wohnen?«
»Ich habe es vor. Was im Winter ist, muss ich sehen. Vielleicht hat die Regierung bis dahin die Inflation im Griff.«
Lorns nickte bedächtig. »Ich bin dankbar, dass meine Schwiegereltern einen Hof haben. Meine Frau und ich wohnen in der Abnahme. Der Altenteilerwohnung. Der Gemüsegarten gibt genug her für uns vier. Hühner und drei Schweine sind auch da. Wir müssen nicht hungern. Aber hier in der Stadt sieht es bei manchen Leuten düster aus …«
»Und Fischer? Wird gefischt?«
»Fische kosten auch Geld. Überdies fürchten die Fischer, dass der neue Festlandsdamm die Fischerei erschweren wird. Die Fische müssen sich auf andere Strömungen einstellen, vielleicht bleiben sie ganz weg. Und was mit den Austernbänken wird, steht auch in den Sternen. Ich kann es nicht beurteilen.«
»Ja, ich kann ihre Ängste verstehen.« Asmus wusste aus seiner Erfahrung als Segler, wie berechtigt diese Befürchtungen waren. Fische, die sich ins tiefere Wasser zurückzogen, und sei es nur vorübergehend, mochten für die Fischer mit kleinen Booten gar nicht mehr erreichbar sein. »Wer hat euch denn den Damm aufgezwungen?«
»Oh, von Aufzwingen kann gar nicht die Rede sein«, widersprach Lorns. »Westerland ist ein Seebad, wie es sie in England geben soll, ein richtiges Weltbad sogar. Hier kuren die Reichen, meist mehrere Wochen lang. Die Älteren erzählen noch vom Besuch der Königin von Rumänien, aber außer ihr kamen Prinzen, Herzöge, Präsidenten und Minister, alle mit Kindern und Dienstboten. Vor dem Weltkrieg soll hier enorm viel los gewesen sein. Das brachte Geld.«
»Und jetzt?«
»Ja, so richtig hat Sylt sich nach dem Krieg noch nicht erholt.«
»Du wolltest mir vom Damm erzählen.«
»Ja, richtig. Was meinst du wohl, wer alles an einer schnellen Verbindung vom Festland nach Sylt interessiert ist: Hoteliers, Inhaber von Pensionen, Kaufleute, Restaurantbesitzer, Strandkorbvermieter, Fuhrleute, Reitstallbesitzer, Badefrauen, Holzhändler, die Gemeinden wegen der Kurtaxe und, und, und.«
»Aha.«
»Auch die Dörfer haben schon seit längerem angefangen, ihren eigenen Nutzen aus der künftigen schnellen Verbindung nach Berlin zu ziehen. In Kampen, beispielsweise, sammeln sich die bekanntesten Künstler, und die ziehen wiederum anderes Volk an, das mit der Bekanntschaft von solchen Leuten angeben möchte. Am Strand pflegen die Künstler FKK, und das ist natürlich etwas so Mondänes, da muss man mitmachen.«
»Was ist das?«
»Freikörperkultur. Der erste Nacktbadestrand in Deutschland, auf dem Männlein und Weiblein sich gemeinsam unbekleidet tummeln dürfen. Den gibt es seit zwei Jahren.«
»Wirklich?« Asmus grinste breit.
»Ja, bestimmt. Anfangs gab es Aufstände in der Bevölkerung, jedenfalls in allen Dörfern außer Kampen wegen der erwarteten Zügellosigkeit und der mangelnden Moral der Künstler. Aber dann hat man in Heller und Pfennig ausgerechnet, wie viel die Rückkehr zur sogenannten Moral kosten würde. Die Vernunft siegte – es würde zu teuer werden. Seitdem tragen sich auch andere Orte mit Plänen, FKK-Strände einzurichten, Westerland vorneweg.«
Während ihres Gesprächs waren sie zur Promenade zurückgebummelt, weil Matthiesen diese am unterhaltsamsten fand. Zwar war die Luft warm, aber das Wasser war zu kalt zum Baden. Die Strandkörbe waren besetzt, aber nur einzelne Spaziergänger wanderten über den Sandstrand, manche mit Hunden.
»Für Mai immer noch zu wenig los«, bemerkte Lorns kritisch, »obwohl es gegen Mittag geht.«
Asmus gab ein Grummeln von sich, das man als Zustimmung interpretieren konnte. Möglicherweise war man hier durch die Fremden
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