Der Tote im Schnee
gefoltert, oder?« sagte Riis.
Ottosson hatte ihnen erzählt, daß er den kleinen John mehrfach verhört hatte. Er war dabei gewesen, als John mit sechzehn zum ersten Mal verhaftet wurde, und während der nächsten fünf, sechs Jahre hatten sie des öfteren miteinander zu tun gehabt.
»Geht es um eine alte Geschichte oder um etwas Neues?« fuhr Ottosson fort. »Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, daß der kleine John in neue krumme Dinger verwickelt gewesen sein soll. Du hast doch seine Frau und sein Kind getroffen, Bea. John scheint in den letzten zehn Jahren gut zurecht gekommen zu sein. Warum sollte er das jetzt versauen?«
Bea nickte und warf Ottosson einen Blick zu, der ihn ermuntern sollte, weiterzusprechen. Seine Worte gefielen ihr. Beatrice fand, daß Ottosson ein kluger Mann war. Viel zu selten ergriff er länger das Wort, und in diesem Moment wollte sie, daß er weitersprach, aber er verstummte und schnappte sich den letzten von Fredrikssons Keksen.
»Die Frau machte einen guten Eindruck, der Junge auch. John ist zwar schon seit einiger Zeit arbeitslos gewesen, was sicher zu Problemen geführt hat, aber er ist nicht abgerutscht. Ab und zu ging er mal einen trinken, meinte seine Frau, aber er hat nicht hemmungslos gesoffen. Kann sein, daß sie das ein wenig beschönigt, aber ich glaube, daß er in recht ruhigen Bahnen gelebt hat. Er hat an seinem Aquarium gearbeitet. Es ist das größte Aquarium, das ich je gesehen habe. Bestimmt vier Meter lang und einen Meter breit. Es nimmt eine ganze Wand ein.«
»Das gibt einen feinen Wasserschaden, wenn es leckschlägt«, bemerkte Riis.
Ottosson schaute den Kollegen an, als wollte er sagen: Jetzt habe ich langsam genug von dummen Kommentaren. Riis lächelte ein wenig schief.
»Das war offenbar sein großes Hobby«, meinte Beatrice.
»Er war Mitglied in einem Aquaristikverein, war dort offenbar sogar im Vorstand. Er träumte davon, ein Geschäft nur mit Fischen zu eröffnen.«
Ottosson nickte.
»Was ist mit seinem Bruder?« fragte Haver. »Er scheint mir nicht ganz stubenrein zu sein. Kann er John in etwas hineingezogen haben?«
»Glaube ich nicht«, erwiderte Beatrice. »Jedenfalls nicht bewußt. Er schien aufrichtig überrascht zu sein. Es ist klar, daß man schockiert ist, wenn der Bruder ermordet wird, aber es gibt nichts, was darauf hindeutet, daß er auch nur ahnte, warum John in ein krummes Ding verwickelt sein könnte.«
»Er machte auf mich keinen besonders hellen Eindruck«, sagte Ottosson.
Morenius, der Leiter des Führungs- und Lagedienstes, betrat den Raum. Er warf eine dicke Mappe auf den Tisch, setzte sich und seufzte schwer.
»Entschuldigt die Verspätung, im Moment ist wirklich viel los«, sagte er und unterstrich seine Worte mit einem weiteren Seufzer.
»Trink einen Kaffee«, schlug Ottosson vor, »damit du wieder wach wirst.«
Morenius lachte und zog die Thermoskanne zu sich heran.
»Kekse?« fragte Ottosson.
»Lennart Jonsson«, begann der Leiter des Führungs- und Lagedienstes, »ist regelmäßig bei uns und diversen anderen Behörden zu Gast. Auf sein Konto gehen vierzehn Anzeigen wegen Fahrens ohne Führerschein, drei wegen Trunkenheit am Steuer, sechzehn Diebstähle, davon drei schwere, eine Körperverletzung und bestimmt zwanzig nicht angezeigte, ein Betrugsversuch, einmal Drogenbesitz, aber das liegt lange zurück, dreimal Androhung von Gewalt und eine Mißachtung des Gerichts. So geht das immer weiter. Außerdem hat er zehn Einträge im Schufa-Register und Schulden in Höhe von gut dreißigtausend Kronen beim Gerichtsvollzieher. Er bezieht Sozialhilfe, und es wird zur Zeit geprüft, ob er in Frührente gehen kann.«
»Weshalb denn das, zum Teufel?« platzte Lundin heraus.
»Er hat offenbar eine alte Verletzung. Vor fünf Jahren ist er von einem Baugerüst gefallen. Seitdem ist er im Prinzip ununterbrochen arbeitsunfähig gewesen.«
»Also hat er auch gearbeitet?«
»Vor allem auf dem Bau, aber auch für Ragnsells und kurze Zeit als Rausschmeißer. Zeitweise hat er ein recht normales Leben geführt.«
»Ist Lennart der Schlüssel zum Ganzen?«
Ottossons Frage stand im Raum. Fredriksson hatte sich mit einem neuen Stapel Kekse versorgt und kaute weiter. Riis sah einfach nur gelangweilt aus. Lundin betrachtete seine Hände, und alle warteten darauf, daß er aufstehen und zur Toilette gehen würde, um sich zu waschen. Über seine Angst vor Bazillen wurde im ganzen Haus gescherzt. Die Kosten für Papierhandtücher
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