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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Eriksson
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schätzte, daß es fast fünf war. John war im staatlichen Alkoholgeschäft im Einkaufszentrum Kvarnen gewesen. Er war guter Dinge, ganz und gar nicht besorgt. In der Hand hatte er zwei grüne Plastiktüten.
    Sie hatten sich über alles mögliche unterhalten. John hatte über sein Aquarium gesprochen, den Kauf einer Pumpe jedoch nicht erwähnt. Mikael hatte über die Arbeit geredet, daß er wahrscheinlich eine Abendschicht übernehmen müßte. Es gab da ein paar Dächer, die vom Schnee befreit werden sollten.
    »Hatte sein Besuch einen konkreten Anlaß? Hat er etwas Besonderes gefragt?«
    »Nein, ich habe es so verstanden, daß er einfach mal vorbeischauen wollte. Ich habe ihn gefragt, ob er beim Schneeräumen helfen will. Die Firma sucht noch Leute, aber er schien nicht sonderlich interessiert zu sein.«
    »Er wollte keinen Job?«
    »Na ja, er hat nicht direkt abgewunken, aber er war auch nicht besonders enthusiastisch.«
    »Sie klingen erstaunt.«
    »Der kleine John war eigentlich nicht der Typ, der gerne auf der faulen Haut liegt. Ich dachte, er würde sofort anbeißen.«
    »Brauchte er Geld?«
    »Wer braucht das nicht?«
    »Ich meine, so kurz vor Weihnachten und so.«
    »Davon hat er jedenfalls nichts gesagt. Immerhin hatte er genug Geld, um Schnaps zu kaufen.«
    John war eine halbe, vielleicht auch Dreiviertelstunde geblieben. Gegen Viertel nach sechs hatte Mikael Andersson die Wohnung verlassen, um Schnee von Dächern in der Sysslomansgatan zu schaufeln. Er war davon ausgegangen, daß John sich auf den Heimweg gemacht hatte.
    »Ach, noch etwas. Er hat darum gebeten, telefonieren zu dürfen, aber dann ließ er es doch bleiben. Er hat nicht angerufen.«
    »Er hat nicht zufällig gesagt, wo er anrufen wollte?«
    »Nein, vielleicht zu Hause. Er sei spät dran, hat er gesagt.«
     
    Lennart Jonsson stapfte durch den Schnee. Ein Wagen hupte wütend, als er die Vaksalagatan überquerte. Lennart hob die Faust. Die roten Rücklichter verschwanden in östlicher Richtung. Er fand es ungerecht. Andere fuhren Auto, während er über die aufgeworfenen Schneewälle hüpfen und im Zickzack gehen mußte, um einen geräumten Pfad zu finden.
    Wenn er nach Westen schaute, sah er die Weihnachtsbeleuchtung wie eine Perlenkette im Stadtzentrum. Es knarrte unter seinen Füßen. Eine Frau hatte ihm einmal gesagt, sie wolle dieses Geräusch, das unter den Schuhen entstand, wenn es richtig kalt war, essen. Der Satz schoß ihm immer durch den Kopf, wenn er über knarrenden Schnee ging. Was hatte sie nur gemeint? Die Worte hatten ihm gefallen, aber er verstand sie nicht.
    Ein Auto mit einem Weihnachtsbaum auf dem Dach fuhr auf der Salabacksgatan vorbei. Ansonsten war es ruhig in den Straßen. Er blieb stehen, ließ den Kopf hängen, als wäre er betrunken, ertappte sich selber beim Weinen. Am liebsten hätte er sich in den Schnee gelegt und wäre gestorben, wie sein Bruder es getan hatte. Sein einziger Bruder. Tot. Ermordet. Rachsucht bohrte in ihm, und er wußte, erst wenn der Mörder des kleinen John tot war, würde der Schmerz nachlassen.
    Er, der sonst immer rannte, ging jetzt nachdenklich und spähte zu den Häuserfassaden hinauf, bemerkte Details wie den überfüllten Papierkorb an der Bushaltestelle und den zugeschneiten Rollator, Dinge, an die er sonst keinen Gedanken verschwendet hätte. Es war, als hätte der Tod seines Bruders ihm die Sinne geschärft.
    Als er den Brantingstorg erreichte, war er nur noch zwei Häuserblocks von zu Hause entfernt, aber er blieb mitten auf dem Platz stehen. Ein Traktor arbeitete sich systematisch durch die Schneemassen, räumte den Parkplatz und seine Zufahrten.
    War John tot, als er in Libro abgekippt wurde. Lennart wußte es nicht, hatte vergessen zu fragen. John fror schnell. Sein schmächtiger Körper war nicht für Kälte gemacht. Seine schmalen Hände. Er hätte Pianist werden sollen. Statt dessen wurde er Schweißer und der größte Experte für Zierfische, vor allem für Buntbarsche.
    Lennart beobachtete den Traktor, und als dieser dicht an ihm vorbeifuhr, hob er die Hand zu einem Gruß. Der Fahrer winkte zurück. Ein junger Bursche, etwas über Zwanzig. Er gab ein wenig mehr Gas, als er sah, daß Lennart immer noch da stand, legte mit einer lässigen Handbewegung den Rückwärtsgang ein, schlug ein, kam in die richtige Position, schaltete wieder und fuhr herum, nahm sich den letzten Streifen Schnee vor.
    Lennart kam der Gedanke, den Traktor anzuhalten, ein paar Worte mit dem Fahrer zu

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