Der Tote im Schnee
zwölf war und John und ich neun. Wir waren Bandy spielen gewesen, in Fålhagen. Dort gab es damals einen großen Platz, der jeden Winter in eine Eisfläche verwandelt wurde. Lennart hatte in der Umkleidekabine einem Typen namens Håkan das Portemonnaie geklaut. Ich begegne ihm noch gelegentlich in der Stadt. Als wir auf unseren Schlittschuhen nach Hause wackelten, holte Lennart die Börse heraus. Neunzehn Kronen. Wir bekamen eine Heidenangst, aber Lennart lachte nur.«
»Es war eine kleine Sünde, aus der später immer größere wurden«, warf Fredriksson ein.
Mikael nickte und sprach weiter. Fredriksson beugte sich vor und kontrollierte, daß sich das Band in dem Miniaufnahmegerät auf seinem Schreibtisch noch drehte.
»Neunzehn Kronen. Ich wollte keine Ore davon haben, ich hatte einfach zu viel Schiß, also haben Lennart und John das Geld genommen. Lennart hat seinen Bruder immer gut behandelt. Das war Johns Problem: einen großen Bruder zu haben, der gerecht teilte. Fing es so an? Ich weiß es nicht.«
»Standen Lennart und John sich nahe?«
Mikael nickte.
»Das kann man wohl sagen.«
»Kann Lennart seinen Bruder in irgendwas hineingezogen haben?«
»Der Gedanke liegt zwar nahe, aber ich glaube es nicht. Lennart hat seinen Bruder immer beschützt.«
»Vielleicht hat er John ja unbewußt in ein krummes Ding verwickelt.«
Mikaeis Gesicht drückte Skepsis aus.
»Was soll das denn gewesen sein? Lennart hat doch immer nur kleine Dinger gedreht.«
»Vielleicht war er ja doch auf einen großen Coup gestoßen«, gab Fredriksson zu bedenken. »Aber okay, lassen wir das. Ich würde Sie gerne fragen, wie Sie Johns und Berits Beziehung beurteilen würden. Waren die beiden glücklich miteinander?«
Mikael Andersson schnaubte.
»Glücklich?«, sagte er. »Das ist ein verdammt großes Wort, aber ich denke, sie waren es.«
»Keine Seitensprünge?«
»Jedenfalls nicht bei John, das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Wissen Sie, die beiden haben sich kennengelernt, als sie sechzehn war. Ich war übrigens dabei, als sie sich das erste Mal sahen. Das war in der Billardhalle im ›Sivia‹. Da hingen wir ständig herum. Eines Tages kam Berit mit einer Freundin dorthin. John hat ihr sofort gefallen Er war nicht wie die anderen, riß das Maul nicht auf und so. John war ein stiller Vertreter, etwas nachdenklich. Viele wurden unsicher, weil er nicht so viel sagte.«
»Wollen Sie damit sagen, daß John und Berit sich über zwanzig Jahre treu gewesen sind?«
»Wenn Sie das sagen, klingt es phantastisch, aber es stimmt tatsächlich. Er hat nie über andere Frauen geredet. Und wir haben eigentlich über alles miteinander gesprochen.«
Ein vorsichtiges Klopfen war zu hören, und die Tür öffnete sich. Riis steckte den Kopf herein.
»Du, Allan, ich habe hier einen Zettel für dich«, sagte er und begutachtete gleichzeitig den Besucher.
Fredriksson streckte sich über den Schreibtisch, nahm den zusammengefalteten Zettel entgegen, faltete ihn auseinander und las sich die kurze Mitteilung seines Kollegen durch.
»Aha«, sagte er und sah Mikael Andersson an. »Sie haben gesagt, daß es John und Berit finanziell nicht besonders gut ging.«
»Ja, in letzter Zeit.«
»Haben Sie ihm deshalb am dritten Oktober zehntausend Kronen überwiesen?«
Mikaeis Gesicht lief erneut rot an. Er räusperte sich, und Fredriksson meinte, einen ängstlichen Ausdruck in seinen Augen wahrzunehmen. Kein Entsetzen, vielleicht eher Unruhe. Fredriksson wußte, daß dies nichts zu sagen hatte. Die meisten Menschen, nicht zuletzt vor einem Schreibtisch bei der Polizei, reagierten so, wenn die Rede auf Geld kam. Sie sprachen unbekümmert über alle möglichen Dinge, auch wenn sie noch so schrecklich waren, doch wenn es um Geld ging, wurden sie nervös.
»Nee, nicht direkt. Es war eher so, daß ich Anfang September ein bißchen knapp bei Kasse war. John lieh mir zehntausend, die ich dann zurückgezahlt habe.«
»Wie hat sich das abgespielt?«
»Ich habe ihm erzählt, daß ich knapp bei Kasse bin, und John hat angeboten, mir ein bißchen was zu leihen.«
»Ein bißchen was. Zehn Mille sind ziemlich viel für einen Arbeitslosen.«
»Das stimmt, aber er meinte, das sei kein Problem.«
»Darf ich fragen, warum Sie knapp bei Kasse waren? Haben Sie sich öfter was von John geliehen?«
»Das ist schon mal vorgekommen, aber noch nie so viel.«
»Und warum dann jetzt?«
»Ich hatte Roulette gespielt, das ist alles.«
»Und
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