Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a
Liegezeit des Körpers im Fluss. Mit diesen Anhaltspunkten haben wir eine Chance.«
3. KAPITEL
E ric Lecadre, der bekannte Theaterschauspieler, knöpfte sein Polohemd zu, steckte es in die Hose und schloss den Gürtel. Er betrachtete sich in dem großen Badezimmerspiegel und lächelte zufrieden. Mit seinen fünfundvierzig Jahren wirkte er mindestens zehn Jahre jünger. Dass er seine Figur gehalten hatte und einen athletisch durchtrainierten Körper besaß, verdankte er seinen guten Genen, dem täglichen Training auf dem Laufband und den Hantelübungen, die er morgens und abends absolvierte. Die Haut spannte sich straff und solariumgebräunt über das schmale Gesicht mit der geraden, klassischen Nase. Die muskulösen Arme waren nahezu unbehaart. Mit den schmalen Hüften, den breiten, aber nicht zu breiten Schultern sowie dem knackigen Gesäß wirkte sein Körper makellos. In seiner Jugend und auch später noch, auf der Schauspielschule, nannten sie ihn El Greco . Nicht in Anlehnung an den gleichnamigen spanischen Maler, nein. Den Spitznamen bekam er, weil er dem Idealbild des griechischen Jünglings zu entsprechen schien. Erhärtet wurde diese Einschätzung durch die blonden, leicht gelockten Haare, deren Schnitt seinen klassischen Kopf noch betonte. Andere hatten ihn auch mit dem David von Michelangelo verglichen. Wo immer er sich zeigte, auf Partys, beim Einkaufen, beim Sonntagsbummel über die Champs Elysées - er zog bewundernde Blicke auf
sich. Eric Lecadre gehörte zu den Menschen, bei denen man annahm, Schönheit, Talent und nobler Charakter gingen Hand in Hand.
Alle großen Rollen, die sich einem Schauspieler boten, hatte er in jungen Jahren gespielt. Er war nicht besser als andere Kollegen. Er sah nur besser aus und galt als Liebling der Frauen. Er spielte Romeo, Hamlet, Lozenzaccio, Don Carlos, Orestes, El Cid. Bis zu Beginn der Theaterferien vor einigen Wochen stand er als Faust in einer aufsehenerregenden Inszenierung auf der Bühne der Comédie Française. Im Herbst würde er an der Seite von Isabelle Huppert die männliche Hauptrolle in einem Film von Claude Chabrol spielen. Er hatte bereits in vielen Filmen mitgewirkt, und war einem großen Publikum im Land bestens bekannt. Ein Promi, der zur Crème de la Crème der Pariser Gesellschaft gehörte.
Mit einem Seufzer löste er sich von seinem Spiegelbild und verließ das Badezimmer. Aus dem Salon ertönte die Stimme seiner Frau Chantal.
»Du bist noch da?«, fragte sie erstaunt. »Ich dachte, du wärst längst weg!« Er hörte ihre schweren Schritte und war einen Moment in Versuchung, ganz schnell die Wohnung zu verlassen, um Chantal nicht mehr begegnen zu müssen. Doch schon stand sie im Flur und schüttelte erstaunt den Kopf.
»Wie lange geht denn die Besuchszeit im Krankenhaus?«
Eric nahm sein safrangelbes Sommerjackett vom Garderobenständer und holte seine Sonnenbrille aus der Schublade des Flurschränkchens.
»Françoise ist doch Privatpatientin!«, sagte Eric milde lächelnd.
»Stimmt!«, murmelte Chantal zerstreut. »Da gelten die normalen Besuchszeiten nicht.«
Françoise Thibon war eine Kollegin vom Theater. In der Faust-Inszenierung spielte sie Frau Marthe, wenngleich sie sich mit Ende vierzig viel zu jung für die Rolle fühlte, wie sie gleich zu Anfang der Proben betont hatte. Vor zwei Wochen hatte sie sich unglücklicherweise auf einer Treppe am Montmartre beim Fotoshooting zu einer Homestory das Bein gebrochen und lag nun im Krankenhaus Val de Grace. Der geplante Urlaub mit ihrem Mann Roland, dem Direktor der Brigade Criminelle am Quai des Orfèvres, fiel dadurch ins Wasser. Das war schade, denn Françoise und Roland hatten Eric und Chantal für Ende August in ihre Villa an die Côte d’Azur eingeladen. Erics für heute geplanter Krankenbesuch galt nicht allein der Sorge um die verunglückte Kollegin. Er wollte sich vor allem die Option auf eine spätere Einladung in die Villa und an den Privatstrand der Thibons offenhalten. Eric Lecadre war geizig und immer auf seinen Vorteil bedacht. Und wenn man das Geld für ein Hotel oder die Miete für ein Ferienhaus sparen konnte, umso besser. Die Schnorrermentalität blieb seinen Freunden und Bekannten nicht verborgen. Doch man nahm es ihm nicht übel, weil sich die meisten Leute gern mit der Gesellschaft dieses blendend aussehenden Mannes schmückten.
Er warf seiner Frau einen flüchtigen Blick zu. Chantal war zwanzig Jahre älter als er und hatte sich trotz vieler Anstrengungen nicht
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