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Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a

Titel: Der tote Junge aus der Seine - Ein Fall fuer Kommissar LaBr a Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Grote
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gut gehalten. Ihre Haut wirkte schlaff und verwelkt, was sie mit einem starken Make-up zu kaschieren
versuchte. Die tiefen Kräuselfalten auf der Oberlippe zeugten von jahrzehntelangem Zigarettenkonsum. Wer an einer Zigarette zieht, spitzt automatisch die Lippen. Und besonders bei Frauen hat dies fatale Folgen. Auch an Chantals Zähnen erkannte man die Kettenraucherin. Eric hatte sich das Rauchen vor langer Zeit abgewöhnt. In einem Beruf, wo beinahe jeder qualmte (und die meisten sehr viel tranken), war er seitdem fast so etwas wie ein exotisches Exemplar.
    Im Oktober wurde Chantal fünfundsechzig. Ihre Haare, die sie inzwischen färbte und die früher tiefschwarz gewesen waren, lichteten sich an einigen Stellen. Sie selbst fand am dramatischsten, dass sie völlig ihre Figur verloren hatte. Seit Beginn des Klimakteriums glich sie mehr und mehr einer Matrone. Ihr Frauenarzt, der auch bekannte Stars und Sternchen zu seinen Patienten zählte, hatte ihr Hormone verschrieben. Zunächst glaubte sie fest an deren Wirkung. Erst als sie dreißig Kilo mehr wog, setzte sie sie ab. Doch die vielen Pfunde blieben, und seit einigen Jahren hatte Chantal die Hoffnung aufgegeben, sich je wieder auf ihr altes Gewicht herunterhungern zu können.
    Seit zweiundzwanzig Jahren war Eric nun mit ihr verheiratet. Das Geheimnis ihrer Ehe lag einzig und allein darin, dass sie einander von Anfang an nützlich waren und sich gegenseitig benutzten. Chantal Coquillon galt jahrzehntelang als die mächtigste Schauspieleragentin in Paris. Sie schob Karrieren an und konnte sie ebenso leicht beenden. Ihr langer Arm reichte bis in die Intendanzen der wichtigsten Pariser Theater. Sie war mit Jean Vilar befreundet gewesen, mit Beckett, Sartre, Ionesco und natürlich mit
Sagan, deren Niedergang sie mit schmerzlicher Anteilnahme miterleben musste. Zu ihrem engeren Freundeskreis gehörten neben einer Anzahl wichtiger Politiker auch namhafte Filmproduzenten und Regisseure. Ganze Generationen von französischen Kinostars verdankten ihr die Karriere. Vor zwei Jahren hatte sie ihren Agentenjob an den Nagel gehängt. Seitdem schrieb sie ihre Memoiren, für die ihr ein großer Publikumsverlag bereits einen Vorschuss in sechsstelliger Höhe gezahlt hatte. Das Buch wurde mit Spannung erwartet, versprach sich der Verlag doch intime Klatsch- und Tratschgeschichten aus der Welt der Kulturschickeria.
    Als sie Eric kennenlernte, verliebte sie sich unsterblich in ihn. Trotz des großen Altersunterschiedes oder vielleicht gerade deshalb. Er ließ sie charmant zappeln, wies sie nicht direkt zurück, schlief sogar hin und wieder mit ihr. Irgendwann hatte sie begriffen, dass sie vielleicht nicht sein Herz erobern konnte, aber dass es eine andere Möglichkeit gab, ihn an sich zu binden. Wenn auch nur durchschnittlich talentiert, war Eric doch sehr ehrgeizig. Er wollte nach oben, und sie konnte ihm dazu verhelfen. Sie stellte nur eine Bedingung: Er sollte sie heiraten. Sie schlossen ein Geschäft miteinander ab. Wenn er sie heiratete, würde sie ihm alle Freiheiten lassen, sich um seine Karriere kümmern und einen großen Star aus ihm machen. Der Preis einer ehelichen Bindung schien Eric dafür nicht zu hoch. Alles, was ihn erotisch und emotional anzog, lief nebenher, und Chantal drückte mehr als ein Auge zu. Sie formte ihn wie einen rohen Diamanten, dem man den entscheidenden Schliff verpasst. Durch ihre Verbindungen in die höchsten Kreise
der Pariser Gesellschaft begann Erics kometenhafter Aufstieg, zu dem er nichts beisteuerte als sein unverschämt gutes Aussehen, ein unbedeutendes Quentchen Talent und das Versprechen, wenn schon nicht das Bett (oder nur sehr selten), so doch Tisch, Wohnung und das gesellschaftliche Leben mit Chantal Coquillon zu teilen.
    »Hast du Yves angerufen und ihm für die Sendung heute Abend toi, toi, toi gewünscht?«, fragte Chantal und steckte die Hände in die Taschen ihres weiten Rockes, der ihren plumpen Körper großräumig verhüllte.
    Mit gespielt theatralischer Geste griff Eric sich an die Stirn.
    »Du liebe Güte, das hab ich ganz vergessen! Könntest du das bitte übernehmen, Chantal? Und zu seiner Party heute Abend nach der Sendung kommen wir natürlich!«
    Sie nickte, lächelte kurz und trat auf ihn zu.
    »Also, Chéri«, sagte sie und gab ihm rechts und links einen Kuss auf die Wange. Er roch ihren schlechten, nach saurem Magen und Zigaretten stinkenden Atem, und hielt einen Moment die Luft an.
    »Grüß bitte Françoise von mir«,

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