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Der Tote trägt Hut

Der Tote trägt Hut

Titel: Der Tote trägt Hut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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vorgehabt, dich zum Essen einzuladen.«
    »Ha!«, sagte ich und trat manisch in die Pedale, um den Grashang hinaufzukommen, ohne absteigen zu müssen. »Wohl kaum.«
    Ein Sieg, endlich. Ein letztes Mal hatte ich Narsil, das Schwert von Aragon, geschwungen und das Untier ins Herz getroffen. Doch als ich die Klinge betrachtete, war das Blut, das daran klebte, mein eigenes.

Kapitel 18
    »Nur selten fragt jemand: Was lernt unsere Kinder?«
    George W. Bush
    Florence, South Carolina, 11. Januar 2000
    D rei Wochen waren vergangen. Die Klappstuhlaufständischen malten und dekorierten unser Regierungsgebäude in Sonnen- und Mimosenfarben. In den Zierteichen hatten sie Reis gepflanzt. Sie ließen sich nicht von dem Manöver täuschen, dass der Zechkumpan des bösen Satellitenschüsselzaren durch den Schwager des Zaren ersetzt werden sollte. Also gruben sie sich ein und veranstalteten Abendkurse zur Kunst der Herstellung pingpongballkleiner Rauchbomben. Das Land schlotterte ob ihrer eindrucksvollen Macht.
    Die Monsunzeit stand bevor, nur wusste keiner, wann sie kommen würde. Käpt’n Kow meinte, die Einheimischen könnten das Wetter nicht mehr voraussagen. Er sagte, es hätte Zeiten gegeben, in denen jeder Fischer die Zeichen lesen konnte, wenn die Krebse aus dem Sand krabbelten, wenn die Seeschwalben zogen. Aber jetzt hörten sie alle Radio, genau wie die Leute in der Stadt. Die Welt war nicht zu retten. Und falls Stürme aufkommen sollten, ließ das Meer es sich nicht anmerken. Es war doch schier unmöglich, dass eine derart unermessliche Wassermenge dermaßen höflich sein konnte. Ich hörte das leise Flüstern der verschämten Flut, die auf dem feinen Kies kam und ging. »Ich bin hier, schsch. – Nein, ich bin hier, schsch.« Dann eine lange Pause vor dem nächsten Flüstern. Ich bewunderte das Ausmaß der Szenerie um mich herum und staunte, dass ich erkennen konnte, wo Meer und Himmel aneinanderstießen. In Chiang Mai sah man den Horizont im Grunde nie. Man glaubte, man könnte ihn sehen, bis sich eines Tages die dreckige Luft klärte und plötzlich eine gewaltige Bergkette vor einem aufragte. In Maprao jedoch, wo sich der Golf trügerisch weit erstreckte, kannte man diese Linie, für die man einen langen Hals machen musste, um sie ganz zu sehen, von links nach rechts, diese Linie, die den Rand der Welt darstellte. Man konnte auf dem hinteren Balkon sitzen und sich ansehen, wie ein Hurrikan über Kambodscha hinwegzog, wie die riesigen Kreuzfahrtschiffe zu einem Nichts schrumpften, wie die Sonne sahnig pink über einem gänzlich anderen Kontinent aufging.
    Irgendetwas in mir hatte sich verändert. Langsam begriff ich, wieso alle Leute in einem Radius von zwanzig Kilo-
metern Idioten waren. Aus demselben Grund, aus dem man jahrelang in einem Apartment wohnen konnte, ohne mitzubekommen, dass der Nachbar in seinem Kühlschrank Leichenteile stapelte. Aus Ignoranz wächst Ignoranz. Wenn die Welt so schmal sein soll wie der eigene Verstand, so ist das eine persönliche Entscheidung. Ich hatte angenommen, ich wäre jedermann in Maprao überlegen, und hatte deshalb keinen Grund gesehen, meine Überlegenheit zu testen, indem ich mich mit den Menschen unterhielt. Wenn man sie allerdings erst mal kennenlernte, wurde einem seltsamerweise bewusst, dass hier mehr gesunder Menschenverstand vorhanden war als in einer ganzen Stadt voll gebildeter, aber erstickender Menschen. Ganz bestimmt mehr als in einer Fuhre korrupter Politiker. Sein Leben zu leben bedeutete für die Bevölkerung von Maprao nicht Verzweiflung – es war eine vernünftige Entscheidung eines sehr stolzen Volks.
    Eine Weile war ich prominent. Drei staatliche Fernsehsender kamen, um mich zu meiner Rolle in der Aufklärung des Mords an dem Abt zu interviewen. Ohne das bizarre Ableben Mika Mikatas wäre der Vorfall vielleicht unbemerkt geblieben. Das Video ihres Selbstmords kam von ihrer Website und erfreute sich auf YouTube nie dagewesener Beliebtheit. Mikata hatte nicht die Absicht, sich lebend fassen zu lassen. Mit ihren Kameras vor der Brust und ihrem spektakulären, orangefarbenen Hut wurde sie von einem motorisierten Hängegleiter auf der obersten Plattform des Tokyo Tower abgesetzt, des größten orangefarbenen Gebäudes der Welt. Dort hielt sie eine herzzerreißende, aber praktisch unverständliche Rede und stürzte sich über die Brüstung. Ohrenzeugen konnten Fetzen von »Killing Me Softly« ausmachen, auf Japanisch, während sie in der Luft Purzelbäume schlug.

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