Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tote trägt Hut

Der Tote trägt Hut

Titel: Der Tote trägt Hut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
Vom Netzwerk:
ein Organ gespendet. Vielleicht hatte sie ihn einfach nur mit Hoffnung vollgepumpt.
    »Hatte ich erwähnt, dass Ed heute Morgen hier war?«, sagte sie. »Er hat nach dir gefragt.«
    »Ach ja?«
    »Ja. Er ist ein netter Junge.«
    »Er hatte nicht zufällig seine Schwester bei sich, oder?«
    »Welche?«
    »Er hat nur eine. Die Lesbe.«
    »Sei nicht albern, Kindchen. Ed hat drei Schwestern, alle glücklich verheiratet. Alles in allem ungefähr zehn Kinder. Und mir ist aufgefallen, dass kein einziges Ed ähnlich sieht. Würde mich überraschen, wenn da nicht irgendwann ein kleines außerfamiliäres Techtelmechtel … Wo willst du hin?«
    Ich reichte ihr den Karton.
    »Sei so nett und pump noch ein bisschen Hoffnung in ihn rein«, sagte ich. »Ich hol ihn später ab.«
    Ich ließ sie verdutzt am Strand stehen und stapfte zu meinem Fahrrad. Wäre es physisch möglich gewesen, hätte ich aus meinen Nasenlöchern Feuer gespien. Ich kannte Eds Haus. Es lag an unserer Straße und war unmöglich zu verfehlen. Bisher hatte ich mich immer abgewandt, sobald ich in die Nähe kam, um nicht unhöflich zu wirken, aber heute nahm ich die unbefestigte Auffahrt und schlitterte bis direkt vor die offene Haustür. Seine Mutter, eine große, joviale Frau, deren Haut in der Sonne gelitten hatte, schickte mich zum Südende der Bucht.
    »Er ist bestimmt bei seinem Boot«, sagte sie.
    »Er hat ein Boot? Ich dachte, er mäht Rasen.«
    »Es gibt nicht viel, was Ed nicht kann«, prahlte sie.
    Vermutlich gibt es irgendeinen nautischen Ausdruck dafür, aber Eds Boot parkte auf dem Gras am Ufer, etwa einen Kilometer von uns entfernt. Der Kahn, ein typisches, schlichtes, fünf Meter langes Fischerboot, stand umgekehrt auf Blöcken. Ed war mit Hobeln oder sonst irgendeiner holzbearbeitenden Tätigkeit beschäftigt. Sein Hemd hatte er ausgezogen, und der Oberkörper, den ich mir gerippt wie einen Stapel Teller vorgestellt hatte, bestand in Wahrheit ganz und gar aus Muskeln. Nicht, dass man mich falsch versteht. Er war nicht wie ein Steak. Er war schlank, aber nicht knochig. Der silbrige Schweiß klebte an ihm wie Tau an knorpeligen Ranken. Ich warf das Fahrrad hin und marschierte zum Boot. Er ignorierte mich. Ich klopfte laut an den Rumpf. Er blickte auf und besaß die Unverfrorenheit, mich anzulächeln. Ich stemmte die Fäuste in die Hüften.
    »Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass ich mich nicht gern belügen lasse«, sagte ich.
    »Nicht?«
    »Nein.«
    »Okay.«
    Ich glaube, er wollte sich wieder ans Hobeln machen.
    »Und du hast mich belogen«, sagte ich. »Du hast mir erzählt, du hättest eine Schwester, die nicht gern mit Männern zusammen ist.«
    »Ich weiß.«
    »Hast du aber gar nicht.«
    »Nein.«
    »Und wieso hast du mir das erzählt?«
    »Weil du ungehobelt warst.«
    Ich stutzte. »Ha. Und inwiefern war ich ungehobelt?«
    »Wenn man hier unten Besuch bekommt, behandelt man ihn nicht wie einen Lakaien. Man lässt ihn nicht warten und schnauzt ihn nicht an. Man weiß sich zu benehmen.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja.«
    »Nun, dann entschuldige bitte meine Unkenntnis der Tatsache, dass ich mich hier in der Hauptstadt des guten Benehmens befinde.«
    »Danke.«
    »Danke …? Wofür?«
    »Deine Entschuldigung.«
    »Ich habe nicht … ich …« Ich merkte, wie meine Selbstsicherheit Schräglage bekam. »Und da wir gerade beim Thema sind: Meinst du nicht, dass es in manchen Kreisen als ungehobelt gilt, sich über Lesben lustig zu machen?«
    »Nein. Ich kenne keine Lesben.«
    »Wirklich?«
    »Mh-hm.«
    »Warum um alles in der Welt sollte eine, die keine ist, so tun, als wäre sie … eine?«
    »Um Männer abzuschrecken.«
    »Ist das so?«
    »Mh-hm.«
    Ohne es zu merken, hatte ich mich in einem Netz verfangen. Plötzlich wünschte ich, sein Boot wäre seetüchtig und er schipperte draußen auf dem Golf umher. Dann hätte ich vielleicht mehr Zeit, mich zu sammeln. Ich könnte mich mit dem kühlen Kopf einer erfahrenen Journalistin mit ihm messen. Stattdessen sagte ich: »Ich hasse dich, Ed.« Und er wehrte meinen Hieb mit einem grandiosen Lächeln ab. Ich zog mich zu meinem Fahrrad zurück und befreite es aus dem Unkraut. Als es endlich aufrecht stand und ich bereit war, elegant davonzuradeln, sah ich mich zu ihm um. Er lehnte am nackten Holz des Boots und beobachtete mich.
    »Eine letzte Frage«, rief ich.
    »Schieß los.«
    »Warst du an diesem Tag wirklich meinetwegen da?«
    »Ich wollte dir sagen, dass du mir gefällst. Ich hatte eigentlich

Weitere Kostenlose Bücher