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Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)

Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schmitter
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die man mit viel interpretatorischer Freiheit als anerkennendes Kopfnicken deuten könnte. »Das mag in sich schlüssig sein«, sagte er nach einer Weile. »Deine Theorie lässt sich momentan weder beweisen noch widerlegen. Aber an einer entscheidenden Stelle hinkt sie.«
    »Die Klamotten, ich weiß. Was uns, ob wir wollen oder nicht, zum vermeintlichen Bekennerschreiben führt, so absurd dieser Gedanke auch ist.«
    »Vergessen wir die anderen Verdächtigen nicht«, sagte Batzko und fand zurück zu seiner Rolle als Taktgeber. »Scharnagl hat ein Motiv und kein Alibi. Ebenso Edith Baumann. Was, wenn Arndt Baumann wirklich an diesem Abend komplett reinen Tisch gemacht hat und seine Frau angerufen und ihr von seinen Plänen erzählt hat? Sie hatte gelernt, sich mit der Situation und mit ihrem distanzierten Ehemann zu arrangieren. Aber hätte sie sich auch mit einer Trennung arrangieren können?«
    Gerald hob müde die Schultern.
    »Wir werden beide hier im Präsidium noch einmal gründlich in die Mangel nehmen. Der Staatsanwalt wird jetzt gehörig Dampf machen, dafür sorgt schon unser Polizeipräsident.«
    Am Nachmittag fuhr Gerald nach Solln. Beim Aussteigen sah er, dass die Immobilienanzeigen von der Frontseite des Wintergartens entfernt worden waren. Sie wirkten nun irgendwie nackt und schutzlos.
    Auf der kleinen Treppe zum Hauseingang lagen Blumen und Briefumschläge. Gerald klingelte und musste lange warten, bis er leise Schritte auf der Treppe hörte. Anne sah zuerst durch den Spion, bevor sie öffnete. Dann ließ sie sich wortlos in Geralds Arme fallen.
    Er streichelte über ihre kurzen Haare, die sich stumpf anfühlten. Obwohl erst ein Tag nach der Tat vergangen war, wirkte ihr Körper in den Jeans und der einfachen Bluse schmal und abgemagert. Anne stand einfach da, sie umarmte ihn nicht, lehnte sich nur mit gesenktem Kopf an ihn, als wäre er ein Baum und sie nicht länger in der Lage, ihr eigenes Körpergewicht zu tragen. Gerald wusste nicht, was er sagen sollte. Es dauerte Minuten, bis er schließlich flüsterte: »Du musst etwas essen. Schon gestern hast du …«
    Sie schüttelte stumm den Kopf, dann löste sie sich und ging langsam vor ihm die Treppe hinauf. Sie trug keine Schuhe, sondern dicke Haussocken mit Pumuckl-Motiven.
    Auf dem Teppich in ihrem Zimmer lagen zwei geöffnete Aktenordner und einige beschriftete Umschläge.
    »Ich muss etwas tun«, sagte sie, und es klang wie eine Entschuldigung. »Ich werde verrückt, wenn ich nicht etwas in die Hände nehme. Ich kann nicht mehr weinen. Die ganze Nacht habe ich geweint, jetzt ist es vorbei.«
    Sie schob die Ordner etwas zur Seite und legte sich auf den Teppich. Ihre Hüftknochen ragten unter der Jeans heraus wie Brückenpfeiler. Gerald war erschrocken, wie ausgezehrt sie wirkte.
    »Diese ganzen Dokumente …«, sagte sie ungläubig, ohne Gerald anzusehen. »Es ist alles so geordnet, so perfekt, wie er eben war, mein Vater. Sicher, sie waren selbstständig, mussten Vorsorge treffen. Sie hätten ja auch einen Unfall haben können. Aber so … erschreckend korrekt. Mein Vater wollte immer alles korrekt und tadellos machen, das wollte er auch von mir und von Mama.«
    Sie krampfte ihre Hände um seine, so heftig, dass es wehtat.
    »Gestern konnte ich keinen klaren Gedanken fassen. Heute auch noch nicht. Aber die Frage hämmert ohne Unterbrechung in mir: Warum? Warum haben sie das getan? Ich glaube, dass mein Vater eigentlich eine fürchterliche Angst vor dem Leben hatte, vor dem wirklichen Leben, dass er zu sensibel war, um das Leben auszuhalten. Aber meine Mutter war nicht so. Warum hat auch sie es getan?«
    Sie begann zu schluchzen, das erschreckend trockene Schluchzen eines Menschen, dessen Körper zu erschöpft ist, um Tränen zu produzieren. Sie drehte sich zu Gerald und vergrub ihren Kopf an seinem Hals.
    »Quäl dich nicht«, sagte er schließlich. »Vielleicht gibt es darauf keine Antwort. Denk jetzt nicht daran.«
    Langsam wurde ihr Atem ruhiger, so ruhig und gleichmäßig, dass er annahm, sie wäre eingeschlafen. Aber dann gab sie ihm einen Kuss in die Halsgrube und sagte: »Du bist der einzige Mensch, den ich jetzt noch habe und dem ich vertrauen kann.«
    »Vielleicht solltest du versuchen zu schlafen.«
    »Kannst du bleiben?«, fragte sie nach einer Pause.
    Statt zu antworten, drehte er sich etwas weg, weil er es nicht ertrug, ihr ins Gesicht zu sehen. Er war auch Neles Blick in den letzten beiden Tagen ausgewichen, hatte Müdigkeit und die

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