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Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)

Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schmitter
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aufreibenden Ermittlungen vorgeschoben. Gerald fühlte die Notwendigkeit einer Entscheidung so deutlich wie eine Tonne Blei in seinem Körper.
    »Severin wartet sicher schon auf mich. Es sind doch nur diese wenigen Tage, in denen ihre Eltern die Wohnung streichen lassen«, sagte er leise, die feige Notlüge ließ seinen Kopf heiß werden.
    »Warte noch etwas. Nur ein paar Minuten. Ich kann noch nicht alleine sein.«
    Sie legte ihren Kopf an seine Schulter, und er nahm sie in die Arme. Er hatte das dringende Bedürfnis, sie zu beschützen.
    Um halb acht saß Gerald in seinem Wagen, den er außerhalb der Sichtweite seiner Wohnung geparkt hatte. Er wollte noch nicht aussteigen. Er bildete sich ein, dass selbst Sevi den fremden Geruch an seinem Körper wahrnehmen würde. Nachdem Anne eingeschlafen war, hatte Gerald leise das Haus verlassen. Vor wenigen Wochen noch hatte er in seiner Einsamkeit die Wohnung manchmal spät am Abend noch verlassen, um in eine Kneipe zu gehen oder sich eine Spätvorstellung im Kino anzusehen. Nun fehlte ihm das Alleinsein. Aber er konnte sich nicht schon wieder eine Ausrede einfallen lassen. Also stieg er aus und ging zu ihrer Wohnung.
    Vorsichtig öffnete er die Wohnungstür und hörte, wie Nele Sevi im Schlafzimmer eine Geschichte vorlas. So leise wie möglich schloss Gerald die Tür hinter sich, ging auf Zehenspitzen in die Küche und nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Nach wenigen Minuten verebbte das Gemurmel aus dem Schlafzimmer, und Nele kam in die Küche. Als sie Gerald ansah, blieb sie abrupt stehen und hob die Augenbrauen.
    »Harter Tag? Du siehst zumindest so aus. Oder genauer gesagt: wie zehn harte Tage in einem.«
    Gerald nickte.
    Nele stellte sich hinter ihn und massierte seinen Rücken. So war es auch vor Sevis Geburt gewesen, dachte er, keine Fragen, keine Ansprüche im falschen Moment. Plötzlich spürte er, dass seine Entscheidung längst gefallen war. Er wollte versuchen, mit Nele noch einmal neu anzufangen, und zu der Verantwortung stehen, die er für seine Familie übernommen hatte.
    Als hätte sie seine Gedanken erraten, fragte Nele unvermittelt: »Ist es überhaupt okay für dich, wenn wir noch bleiben?«
    Mit ihrer jahrelangen Erfahrung ertastete sie die Verspannungen entlang seiner Wirbelsäule. Es war für Gerald die reine Wohltat, es war genau das, was er in diesem Moment brauchte.
    »Natürlich«, sagte er mit Nachdruck.

20
    Wilfried Scharnagl erschien pünktlich um neun Uhr zu seiner Vernehmung. Er kam ohne Rechtsbeistand. Zwei Kollegen aus der Abteilung nahmen ihn in Empfang und gingen direkt mit ihm in den Vernehmungsraum, der mit einer Kamera ausgestattet war. Gerald und Batzko verfolgten das Gespräch in einem Nebenraum über einen Bildschirm.
    Die Kollegen klärten Scharnagl über seine Rechte auf und begannen mit allgemeinen unverfänglichen Fragen. Scharnagl antwortete ruhig, beinahe desinteressiert. Er war leicht nachlässig gekleidet, seine Cordhose zierten mehrere kleine Farbflecken. Der ungestutzte Vollbart und das wuchernde Haupthaar verliehen ihm etwas Wildes. Wenn er zuvor wie ein Mann gewirkt hatte, der kaum noch etwas zu verlieren hat, so sah er jetzt aus wie jemand, der bereits alles verloren hatte. Seine Antworten wurden knapper, die Stimme gepresster, je näher sich die Kollegen an die Tatumstände heranpirschten.
    Sie rollten Scharnagls ausweglose finanzielle Situation ausführlich auf und noch ausführlicher den verunglückten Versicherungsbetrug. Unter den Achseln von Scharnagls Oberhemd wuchsen Schweißflecke, er krampfte die Finger ineinander.
    »Ich sehe darin schon eine gewisse Logik«, sagte nun einer der beiden Kollegen und legte den Notizblock zur Seite. »Die Gespräche mit dem Anwalt Baumann haben Ihnen vor Augen geführt, wie aussichtslos Ihre finanzielle und berufliche Situation ist, auch wenn Sie sich mehr oder weniger als das Opfer unglücklicher Umstände sehen. Dann der Versicherungsbetrug, von dem Baumann erfährt. Er verhält sich so, wie die Buchstaben des Gesetzes es von ihm verlangen. Und plötzlich haben Sie einen Sündenbock gefunden: Arndt Baumann. War es nicht so?«
    »Nein, ich …« Scharnagl warf die Arme nach oben, als wolle er mit aller Kraft auf den Tisch schlagen. Doch mitten in der Bewegung erstarrte er. Er sah nach unten und sagte ganz leise: »Ihr müsst das doch sehen, dass ich so etwas nicht mache. Niemals würde ich so etwas tun.«
    In gewissem Sinne war das seine letzte Aussage. Es war, als hätte

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