Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
da? … Aber was heißt das schon, es ist egal … Es ist schön, dass du da bist … Du darfst nicht weggehen, hörst du, nie mehr darfst du weggehen. Niemals.«
19
Polizeipräsident Dr. Vordermayer begutachtete konzentriert die Tageszeitungen, die aufgeschlagen vor ihm lagen. Er las die Artikel und hob in unregelmäßigen Abständen die Augenbrauen. Keiner sagte etwas.
»Kann jemand bitte mal ein Fenster aufmachen?«
Stühlerücken. Ein Kollege stand auf, öffnete zwei Doppelfenster, die zum Innenhof hinausgingen, und setzte sich wieder. Nun las Dr. Vordermayer laut vor, ohne jemanden dabei anzusehen.
… wurde die Polizei von dem Doppelselbstmord offensichtlich völlig überrascht. Obwohl das Ehepaar im Zentrum der Ermittlungen stand, erfuhren die ermittelnden Kriminalbeamten erst am folgenden Tag über die Tochter des Paares von der schrecklichen Tragödie.
Dr. Vordermayer seufzte, schob die Zeitung beiseite und nahm die nächste zur Hand.
Ist der Doppelsuizid ein Schuldeingeständnis? Gab es einen Abschiedsbrief, ein Tateingeständnis? Ist damit der Mord am befreundeten Rechtsanwalt Arndt Baumann aufgeklärt, oder wird ein überaus mysteriöser Mord um einen mysteriösen Doppelselbstmord erweitert? Es sieht so aus, als bekäme der Fall eine völlig neue Wendung. Die Polizei ermittelt, aber das tut sie bereits seit über zwei Wochen. Ohne Ergebnis. Die Reihen der Verdächtigen lichten sich, aber sie tun es in einer Weise, die tief bestürzt. Ein angesehenes, in der Nachbarschaft überaus beliebtes Ehepaar setzt seinem Leben ein gewaltsames Ende. Die ermittelnden Beamten scheinen die Vorzeichen nicht erkannt zu haben und keine Vorstellung davon zu haben, wie es in den Köpfen des Paares wirklich aussah. Man kann nur hoffen, dass damit der Mord am »Toten von der Isar« Arndt Baumann aufgeklärt ist.
Dr. Vordermayer seufzte und schob die Zeitungen von sich. »Schmiere. Schund. Hintertreppenjournalismus. Ein weiterer Kübel im Schweinetrog der öffentlichen Meinung. Es gibt nur eine Frage aus dem Artikel, die ich an Sie weitergeben möchte, Kollegen Batzko und van Loren. Sie werden wissen, welche.«
Batzko räusperte sich. »Nun, Herr Präsident, da ist … das ist …« Batzko, der normalerweise mit kasernenhof-ähnlicher Lautstärke und Klarheit sprach, verhedderte sich. »Wir sind nicht sicher, ob es sich bei dem Ehepaar um die Mörder von Arndt Baumann handelt. Der Abschiedsbrief – es sind nur wenige Zeilen an die Tochter – gibt keinen Aufschluss. Das Original ist im Labor, um nach möglichen Fingerabdrücken untersucht zu werden, die nicht mit denen des Ehepaars identisch sind. Ich habe mir die Zeilen notiert: ›Bitte verzeih uns. Wir lieben dich über alles, aber wir haben keine Kraft mehr. Versuche, uns zu verstehen und uns zu vergeben. Das möge dir Frieden geben.‹ Das ist alles.«
»Liegt ein klares Motiv vor?«, insistierte der Polizeipräsident ungeduldig.
»Da ist die Tatsache, dass Frau Thaler mit dem Ermordeten eine Beziehung hatte beziehungsweise eingehen wollte – da hat die informelle Befragung zu jenem Zeitpunkt noch keine Klarheit ergeben … beziehungsweise ist sie abgebrochen worden seitens der Befragten. Aber es ist möglich, dass die Frau mit dem Ermordeten ein neues Leben definitiv zu beginnen bereit war.«
»Definitiv zu beginnen bereit war.« Dr. Vordermayer ließ jedes Wort langsam auf der Zunge zergehen. »Kollege Batzko, Sie übertreffen sich selbst. Welche Formulierung, welch feine Satzmelodie! Aus tiefer Ferne höre ich Thomas Mann.«
Zustimmendes Gelächter und Klopfen mit den Fingerknöcheln auf dem Tisch. Gerald sah in die Runde und erkannte in den Mienen mancher Kollegen eine gewisse Genugtuung darüber, dass Batzkos überlebensgroßes Selbstbewusstsein vom Polizeipräsidenten gestutzt wurde. »Meinen Sie damit, dass beide die Tat zusammen begangen haben? Oder nur er, während sie ihn gedeckt hat? Oder wusste sie gar nichts davon? Oder war es doch jemand ganz anderes, und das Ehepaar konnte mit der öffentlichen Bloßstellung in den Zeitungen nicht länger umgehen? Ich sehe da noch viele Fragen, die definitiv zu stellen ich beginne bereit zu sein.«
Erneutes Lachen. Batzko senkte den Kopf und ordnete seine Notizen.
»Was ist mit dem Alibi?«
»In den informellen Befragungen«, begann Gerald, um seinen Kollegen aus der Schusslinie zu nehmen, »hat das Ehepaar angegeben, zur ermittelten Tatzeit alleine zuhause, also in Solln, gewesen zu sein. Wir hatten das so
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