Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
sich Scharnagls Energie in diesem Satz erschöpft. Er stierte auf den Boden, antwortete auf die folgenden Fragen mit Kopfschütteln oder äußerst einsilbig. Als hätte er sich tief in sich selbst verkrochen.
Wenige Minuten später beendeten die beiden Kollegen die Vernehmung. Wilfried Scharnagl gab ihnen stumm die Hand und verließ mit gesenkten Schultern den Raum.
Nach der Mittagspause erschien Edith Baumann mit einem Anwalt. Er sah aus wie ein Fernsehanwalt, dachte Gerald: schwarzer Nadelstreifenanzug, weißes Hemd mit einer gepunkteten Krawatte und ein schwarzes Aktenköfferchen, aus dem er einen Stapel Papiere und einen Füllfederhalter nahm. Er sah oft und gerne auf seine schwere, teuer wirkende Armbanduhr.
Auch Edith Baumann hätte jedem Scheinwerfer standgehalten. Hochhackige Schuhe, ein knielanges schwarzes Kleid mit tiefem Dekolleté und den Hauch eines Seidenschals um den Hals, wo, wie Gerald sich erinnerte, die untrüglichen Spuren des Alters an der Haut abzulesen waren.
Es waren dieselben Beamten, die schon Wilfried Scharnagl vernommen hatten. In detailgenauer Ausführlichkeit referierten sie den Stand der Ermittlungen und ließen sich den Wahrheitsgehalt jeder Aussage von Frau Baumann und ihrem Anwalt bestätigen. Gerald und Batzko konnten keinen Widerspruch zu den bisherigen Aussagen von Edith Baumann erkennen.
»Sie behaupten also weiterhin, nichts von einer Affäre Ihres Mannes …«
»Es gab keine Affäre«, unterbrach der Anwalt scharf. »Sie berufen sich hier lediglich auf Hypothesen und Spekulationen. Wenn es Belege gibt für diese angebliche Liaison, dann legen Sie sie endlich auf den Tisch. Anderenfalls bitte ich Sie, meine Mandantin nicht länger mit diesen haltlosen und verletzenden Unterstellungen zu konfrontieren.«
Batzko im Nebenzimmer schnaubte. »Diese Frau ist härter als eine Stahlhantel.«
Der Beamte ruderte etwas zurück. »Ich räume ein, dass wir uns mit einer Version des Tathergangs beschäftigen, für die bisher noch keine eindeutigen Beweise vorliegen. Aber es gibt auch keinen Beleg gegen diese Hypothese, und deshalb werden Sie uns gestatten, dass wir im Zuge der Ermittlungen verschiedene Versionen durchspielen werden.«
»Spielen Sie ruhig, aber Ihr Ball wird platzen wie ein Luftballon.« Der Anwalt warf erneut einen Blick auf seine teure Uhr.
»Gerne. Gehen wir einmal davon aus, dass Herr Baumann tatsächlich entschlossen war, seine Frau zu verlassen, und ihr das am Abend seines Todes mitgeteilt hat.«
»In Pennerklamotten am Flaucher? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.«
»So weit sind wir noch nicht. Bleiben wir zunächst beim Moment des Geständnisses. Es gab diese Übereinkunft zwischen den Eheleuten, nach der Herr Baumann seine gelegentlichen Auszeiten nehmen konnte und Frau Baumann das tolerierte, solange keine andere Frau im Spiel war und Herr Baumann weiter seinem Beruf nachging – doch nun wollte Herr Baumann ein neues Leben. Mit einer anderen Frau. Einer Frau, die Sie, Frau Baumann, sogar persönlich kannten.«
Zum ersten Mal zeigte Edith Baumann eine offenkundige Regung. Ihre Lippen zitterten leicht, sie berührte, ohne sich dessen möglicherweise bewusst zu sein, ihren Ehering und drehte ihn ganz langsam.
In diesem Augenblick war sich Gerald sicher, dass es genau so gewesen war. Auch für Edith Baumann musste diese Vereinbarung unerträglich geworden sein. Sie hatte alles immer stillschweigend akzeptiert, die Demütigung und Zurückweisung durch ihren Mann ertragen, und Baumanns Geständnis musste für sie wie ein Schlag ins Gesicht gewesen sein.
Der Anwalt beugte sich ganz nahe zu seiner Mandantin und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie zog die Augenbrauen zusammen, und nach einem kurzen Moment des Nachdenkens nickte sie.
»Meine Mandantin möchte das Gespräch an diesem Punkt abbrechen. Sie fühlt sich gesundheitlich nicht wohl. Selbstverständlich werden wir weiterhin im Interesse der kriminalistischen Untersuchungen mit Ihnen kooperieren. Ich möchte aber in aller Entschiedenheit darauf hinweisen, dass Sie nicht den geringsten Beleg für Ihre abenteuerlichen Thesen aufbieten können und dass Sie weiterhin nicht den geringsten Beleg dafür haben, dass meine Mandantin an jenem Abend ihren verstorbenen Mann gesprochen oder gar getroffen hat. Dass Sie den Fundort der Leiche und ihre Bekleidung auch unter Aufbietung einer geradezu literarischen Phantasie in keinster Weise mit Frau Baumann in Verbindung bringen können, zeigt uns, wie haltlos Ihre
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