Der träumende Diamant 3 - Drachenmagie
heraufzufahren.
Und wie er wusste, war das gut so. Es bedeutete immerhin, dass er seinem Ziel ganz nahe war.
Die Stute kam mit einem Sprung zum Halten, so dass er wieder nach vorn geschleudert wurde. Er stieß einen lautlosen Fluch aus und packte die Zügel, aber das Ross verweigerte jede Bewegung. Als er die Sporen benutzte, warf die Stute den Kopf hoch und bäumte sich auf. Er hielt sich mit beiden Händen fest, aber sie buckelte voller Panik und schrie. Plötzlich erkannte er, dass sich vor ihnen etwas auf der Straße befand, etwas, das sie in Angst versetzt hatte.
Er verlor den Halt und schlug gleich darauf auf dem Boden auf, so dass ihm die Luft ausging, aber er brachte es fertig, sich auf die Füße zu rollen und sich den Schlamm aus den Augen zu wischen. Die Stute stampfte davon, und sein Gefühl der Gefahr wuchs. Die Haut über seiner Wirbelsäule zog sich zusammen - er verwandelte sich bereits, aber es war kalt, und er war erschöpft. Und es war zu spät.
Ihr Morgen begann wie eine viel zu große Anzahl ihrer Tage: mit Wind, der ihr das Haar in schweren Strähnen über das Gesicht blies, und mit auf einem Haufen losen Heus zu einem Ball zusammengerollten Körper und verkrampften Fäusten. Selbst die Zehen hatte sie zusammengekrümmt. Sie trug keinerlei Kleidung. Unter dem Heu fühlte sich der Terrassenboden kalt an. Kalt - beinahe so kalt wie das Eis, das die Berge bedeckte, so wie schimmernder, milchig blasser Stein, den man vor Jahrhunderten aus den Bergen geschlagen hatte.
Ihr Mund schmeckte nach Asche. Ihr Haar roch nach Rauch.
Maricara öffnete die Augen und schloss sie dann wieder. Der Himmel über ihr wölbte sich rosa und scharlachgolden über ihr, gekrönt von weichen, bezaubernd schönen, von Gold umränderten Wolken. Der Himmel sah auf wilde Weise schön aus und unwiderstehlich einladend, einer Prinzessin würdig. Oder zumindest einer Leibeigenen, die sich als solche ausgab.
Für einen Augenblick - ein kurzes, trauriges Flimmern der Zeit - tat sie so, als schliefe sie noch. In einem Bett. Mit Kissen.
Wieder nahm der Wind ihr Haar und zog es kräftig über ihre Nase. Kein Zweifel - Holzrauch.
Vorsichtig reckte sie sich. Finger, Zehen und die warmen, bislang zusammengerollten Teile ihres Körpers kühlten augenblicklich ab, als sie sich gegen das Stroh drückte. Nichts gebrochen. Ein Schmerz in der linken Hand, aufgeschlagene Knöchel. Ein Schnitt auf ihrem Bauch … Der könnte Schwierigkeiten machen. Eine Wunde im Magen bedeutete, dass sie entweder zu tief geflogen war oder sich zu hoch aufgerichtet hatte.
Maricara setzte sich hin und untersuchte die Wunde, sog scharf die Luft ein, um den Schmerz zu unterdrücken. Die Ränder waren sauber, wie mit der Rasierklinge geschnitten, und die Wunde schien nicht schrecklich tief zu sein - aber es tat weh. Sie würde sie sorgfältig auswaschen müssen; das Letzte, was sie brauchen konnte, war eine Blutvergiftung.
Sie kam auf die Beine, wischte sich die losen Halme bis zu den Füßen vom Körper. Dann schüttelte sie das Haar zurück und sprach in die Luft vor ihr:
»Wo geschah es letzte Nacht?«
Die Stimme hinter ihr klang dünner, jünger und so ruhig, wie es vielleicht nicht den Tatsachen entsprach.
»In einem Dorf etliche Meilen entfernt. Deda.«
»Deda? So weit weg?«
»Es sieht so aus.«
Sie kämmte mit den Fingern durch ihr Haar, schaute auf die glänzenden dunklen Strähnen nieder. Während der letzten zwei Jahre war es ihr bis über die Hüften gewachsen. Sie konnte den Arm ausstrecken, ohne die Spitzen zu erreichen.
Zu lang zum Pudern, dachte sie , zu schwer, um Locken einzudrehen. Ich sollte es abschneiden.
»Habe ich jemanden getötet?«, fragte sie laut, und in der folgenden Stille blickte sie über die Schulter auf den Knaben, der sich an die Mauer des Ostturms gelehnt hatte.
»Nein«, antwortete ihr Bruder und zuckte kaum merklich mit den Schultern. »Nicht dass ich wüsste.«
Er starrte auf das Heu nieder, Wangen und Mund vom Wind ausgedörrt. Schwarze Wimpern umrahmten seine kristallgrauen Augen, genaue Widerspiegelungen ihrer eigenen, aber hier endeten alle Ähnlichkeiten: Zum einen war er angekleidet, und noch dazu gut. Für gewöhnlich bevorzugte Sandu einen schlichteren Stil; es war ein Kampf, ihn davon zu überzeugen, irgendetwas anderes als Kniehosen, Stiefel und ein Hemd zu tragen. Aber an diesem Morgen hatte er sich mit der feinsten Weste, einer Perücke, drei Lagen Spitzen und Absätzen ausgestattet, die
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